Politik

BAföG ist und bleibt in einem schlechten Zustand

Das Bundesverfassungsgericht verneint einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Studienbeihilfe und überlässt die Beurteilung wie üblich dem Ermessen des Gesetzgebers. Wer arm ist, kann arbeiten gehen und notfalls sein Studium aufgeben, argumentieren die höchsten deutschen Richter und beweisen damit einmal mehr, wie tief sie gesunken sind. Ein Kommentar von Ralf Wurzbacher.

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Danke für die Blumen. Bundesregierungen nahezu aller Couleur haben über Jahrzehnte das staatliche Bildungsförderungssystem systematisch heruntergefahren, entwertet und entkernt und dafür gesorgt, dass staatliche Hilfen nicht mehr annähernd zur Finanzierung eines Studiums ausreichen, weshalb immer weniger Menschen davon überhaupt Gebrauch machen . Und was sagt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) dazu? Alles gut – weiter so!

Das jüngste Karlsruher Urteil vom Mittwoch zur Frage der Grundgesetzmäßigkeit der nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) genehmigten Leistungen ist nicht nur ein herber Rückschlag für alle Betroffenen – also Studierende und Schüler in Ausbildung. Der Spruch ist vor allem eine Vorlage für notorische Sozialknechte, die notorisch seit einer gefühlten Ewigkeit die politischen Schaltzentralen besetzt halten. Das grundsätzliche Urteil geht weit über die BAföG-Thematik hinaus, wenn die Richter apodiktisch postulieren, dass a „Recht auf staatliche Leistungen zur Beseitigung sozialer Ungleichheiten, die die Chancengleichheit der Grundfreiheiten behindern.“ verfassungsrechtlich ausgeschlossen.

Ein Drittel in Armut

Das Grundgesetz kann auch anders gelesen werden. Nach dem Wohlfahrtsstaatsprinzip muss der Staat danach streben, soziale Sicherheit, Gerechtigkeit und einen Ausgleich sozialer Unterschiede zwischen den Bürgern herzustellen und aufrechtzuerhalten. Wenn man sich die Situation der Studierenden in Deutschland ansieht, sieht es so aus: Mehr als ein Drittel von ihnen lebt in Armut, und diejenigen, die außerhalb ihres Elternhauses leben, leben in Armut über 80 Prozent. Weit über 30 Prozent kommen mit weniger als 800 Euro pro Monat aus, während derzeit a Mehrbettzimmer mit Bundesmitteln 489 Euro kostet in München 790 Euro.

Auf der anderen Seite gibt es allerlei Uni-Studenten, die in vollen Zügen genießen, denen es von zu Hause aus gut geht, die in privaten Luxuswohnheimen wohnen und nicht jeden Cent doppelt ausgeben müssen. Sie haben gegenüber ihren Kommilitonen große Vorteile, weil sie sich voll und ganz auf ihr Studium konzentrieren und an ihrer Karriere arbeiten können. Ja, auch Studierende in prekären Verhältnissen sind nicht vom Hungertod bedroht und viele von ihnen werden in Zukunft gut bezahlte Jobs haben. Aber längst nicht alle, denn sie können mit anhaltenden Existenzsorgen nicht erfolgreich studieren, ihr Studienerfolg leidet oder sie müssen am Ende sogar das Handtuch werfen.

Hier einen Ausgleich zu schaffen, wäre nicht nur ein dringender Handlungsauftrag für die Regierenden, die sich im Falle der Ampel „Bildung und Chancen für alle“ und ein „Jahrzehnt der Bildungschancen“ auf die Fahnen geschrieben haben. Es wäre auch ihre verfassungsmäßige Pflicht, wenn sie das Grundgesetz beim Wort nehmen würden. Das sehen nicht alle Juristen so. Doch nicht jeder rief in Karlsruhe an, um den anhängigen Streit vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig zu klären.

Weit entfernt vom Geld der Bürger

Die Klage wurde von einer ehemaligen Studentin eingereicht, die den BAföG-Bedarfssatz von 373 Euro im Wintersemester 2014/15 für „verfassungswidrig zu niedrig“ hielt und mit ihrem Anwalt Joachim Schaller alle Instanzen durchlief. Die Leipziger Richter folgten der Argumentation und gaben zu Entscheidung Das Grundgesetz vom Mai 2021 erlegt dem Staat eine klare Verpflichtung auf, Kindern unabhängig von der Eigentumsverhältnisse ihrer Eltern einen gleichberechtigten Zugang zu staatlichen Bildungsangeboten zu ermöglichen. Dies sollte so gestaltet sein „dass soziale Unterschiede hinreichend ausgeglichen werden und die soziale Durchlässigkeit gewährleistet ist“.

Erst im Juni schloss sich das Verwaltungsgericht Berlin in einem ähnlichen Fall dieser Auffassung an und plädierte für ein „ausbildungsbezogenes Existenzminimum“, dessen Höhe der Grundsicherung für Arbeitssuchende gleichgesetzt werden sollte. Der Wortlaut der Richter: „BAföG für Studierende darf nicht geringer sein als das Geld der Bürger.“ Aber es ist so und die Lücke zwischen den beiden Sozialleistungen ist derzeit mit 88 Euro (475 Euro/563 Euro) immens. Bis zur kürzlich in Kraft getretenen 29. BAföG-Novelle betrug die Lücke sogar 111 Euro, obwohl der kümmerliche Zuschlag von fünf Prozent in den Regelsätzen erst nach langem und unwürdigem Hin und Her kam.

Eigentlich wollte Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) nichts hinzufügen und das BAföG noch stärker von der Lohn- und Preisentwicklung abhängig machen – in schlechter Tradition. Nach Berechnungen von Rechtsanwalt Schaller, basierend auf einem Index von 100 im Jahr 1970, kletterten die Preise bis 2019 auf 341, das BAföG stieg jedoch nur auf 273. Tatsächlich ist die Kaufkraft der BAföG-Empfänger mit jeder sogenannten Reform sukzessive geschrumpft. Das hat System und folgt dem politischen Willen, Sozialleistungen zugunsten privater Studienfinanzierungsmodelle – Stipendien, Studienkredite – abzuschwächen. Kein Politiker sagt das offen, aber ihre Taten sprechen Bände.

Unglücklich!

Und Karlsruhe lässt ihnen freien Lauf, mit der Ankündigung: Es gebe keinen verfassungsrechtlichen Anspruch auf höheres BAföG. Die Begründung ist unglaublich ungeschickt. Darin heißt es: Wer studiert, kann auch arbeiten gehen, um „soziale Not sofort zu vermeiden oder zu beenden“. In juristischer Sprache heißt es so: „Diese Unterordnung des Anspruchs auf Leistungen zum Lebensunterhalt unter die Selbsthilfe gilt auch dann, wenn bestimmte Grundfreiheiten, wie die hier in Rede stehende, eine (…) geschützte Ausbildung an einer Hochschule zu absolvieren, nicht ausgeübt werden.“ Aufgrund fehlender Ressourcen kann es sein.“

Übersetzt: Der Student sollte zur Arbeit gehen. Wenn das bedeutet, dass er gar nicht mehr oder nur noch eingeschränkt studieren kann – Pech gehabt. Wenn er deshalb deutlich länger zum Studium braucht und kein BAföG mehr bekommt, dann gilt auch: Pech. Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), brachte die verdrehte Logik zum Ausdruck ThinkPages auf den Punkt. „Karlsruhe nimmt letztlich in Kauf, dass Studierende ihr Studium abbrechen müssen, wenn die Finanzierung dafür nicht ausreicht.“ Und Rechtsanwalt Schaller bemerkte im NDS-Gespräch: „Gleiche Bildungs- und Ausbildungschancen sind nicht gegeben, wenn Studierende in finanzielle Not geraten.“ Wir müssen das Studium abbrechen, um existenzsichernde Löhne zu bekommen, und haben dann in vielen Fällen keine Chance, unser Studium später fortzusetzen Numerus-Clausus-Fächer, da eine Bewerbung für höhere Fachsemester nicht möglich ist.“

Freibrief zur Verkürzung

Das BAföG stand einst für drei Dinge: Erstens kam es als gesetzlich verpflichtende Sozialleistung einem breiten Spektrum von Studierenden zugute. Im Jahr 1972 erhielten 44,6 Prozent aller Hochschulstudenten in Deutschland eine Förderung; mittlerweile sind es nur noch zwölf Prozent. Zweitens sorgte die Hilfe dafür, dass diejenigen, die die maximale Förderung erhielten, tatsächlich davon leben und studieren konnten, ohne dass es zu finanziellen Belastungen kam. Und drittens wurden die Zuschüsse als Vollzuschüsse gewährt; Kein Cent musste später zurückgezahlt werden, sondern nun die Hälfte des Kredits (maximal 10.010 Euro). Demgegenüber ist das System heute nur noch ein Torso, inzwischen auch mit dem Segen des höchsten Gerichts versehen, wonach die bewilligten Mittel keineswegs ausreichen müssen, um den Lebensunterhalt bestreiten zu können.

Stark-Watzinger kann durchatmen. Viele Beobachter hatten im Vorfeld mit einem Einspruch aus Karlsruhe und der Forderung gerechnet, die Modalitäten zur BAföG-Berechnung auf den neuesten Stand zu bringen. Auch in der laufenden Legislaturperiode wird der Ruf laut, mit einer 30. Gesetzesnovelle die Dienstleistungen deutlich zu verbessern. Der Minister wird den Teufel tun. Das BVerfG hat den verfassungsrechtlichen Auftrag des Landes zur Förderung gleichberechtigter Bildungs- und Ausbildungschancen hervorgehoben und den politischen Ermessensspielraum des Bundestages und der Bundesregierung hervorgehoben. Allerdings ist das Ganze nur als „Kann“ und nicht als „Muss“ formuliert. Dies würde bedrückendere Bedingungen für die Richter erfordern. Zitat: „Dieser Förderauftrag wird zu einer objektiven rechtlichen Handlungspflicht, wenn ganze Bevölkerungsgruppen faktisch keine Chance auf Zugang zu bestimmten Ausbildungs- und Berufsfeldern haben.“ Bis dahin wird es wohl noch eine Weile dauern.

Die Regierung sagt Danke

In der Zwischenzeit kann es sein, dass ein paar mehr oder weniger junge Leute die Universität abbrechen oder es gar nicht erst schaffen. Was zum Teufel!? Wie es so schön in der beigefügten Pressemitteilung heißt Entscheidung: „Die Ermöglichung eines Hochschulstudiums für Mittellose erscheint im Hinblick auf andere gesellschaftliche Bedürfnisse und andere staatliche Aufgaben nicht als so unverzichtbar, dass die erforderlichen Mittel durch die Anerkennung eines Hochschulzugangs dauerhaft den Verteilungsentscheidungen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers entzogen werden könnten.“ entsprechenden Grundanspruch auf Leistungen, unabhängig von sich ändernden Bedürfnissen.“

Es gibt keine edlere Art zu sagen, dass sich der Staat nicht um die armen Menschen kümmern muss. Dies gilt insbesondere in Zeiten des „Zeitwandels“, in denen es um „wichtige Dinge“ geht, etwa die Bewaffnung der Bundeswehr und die Kriegstauglichkeit der Bevölkerung. Garantien dafür bietet Karlsruhe auch dadurch, dass es den Regierenden ausdrücklich eine Bevorzugung bestimmter Politikbereiche zu Lasten der Sozialhilfe einräumt. Nochmals zum Urteil des Richters: „Diese begrenzten finanziellen Mittel machen es erforderlich, die Erfüllung staatlicher Aufgaben nach Art, Zeit und Umfang zu priorisieren; Dies gilt aufgrund ihrer besonderen finanziellen Wirkung auch für die Wahrnehmung sozialstaatlicher Aufgaben.“

Verstanden! Die Bundesregierung hat gerade die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gekürzt; Ab Januar gibt es nur noch 441 Euro statt bisher 460 Euro. Außerdem wird ein Null-Niveau für Bürgergelder festgelegt. Auch Deutschlands oberste Richter machen so etwas möglich. Die Ampel sagt Danke und geht trotzdem gegen alle vor, die Karlsruhe Regierungsnähe vorwerfen.

Titelbild: New Africa/shutterstock.com


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