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Gefährliche Verschwörungserzählungen zum Klimawandel

In Frankreich wurde 2023 ein neues Wort erfunden. „Winter-Dürre“. In vielen Regionen hat es über einen Monat lang nicht geregnet. Das ist die längste Zeitperiode seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Die Tagesschau vom 28. Februar zeigte dramatische Bilder:

„Von diesem See bleibt kaum mehr als eine Pfütze. Der Lac de Montbel im Südwesten Frankreichs bei Perpignan ist nur noch zu etwa 20 Prozent gefüllt“, heißt es in der Tagesschau.

Die Kamera schwenkt über eine weite Fläche. Man sieht viel Sand und in der Ferne eine winzige Wasserfläche. Bürgermeister Pierre Terpant blickt besorgt auf die letzten Reste des einst majestätischen Sees: „Letztes Jahr um diese Zeit waren hier etwa 50 Millionen Kubikmeter Wasser drin. Das Wasser Stand hoch, bis zu den Bäumen da drüben.“

Die Klimakrise ist längst da. Und wir sind mittendrin. Wissenschaftler dokumentieren Rekordtemperaturen in der Arktis, abschmelzende Gletscher und immer neue Hitzerekorde. Angesichts dieser erdrückenden Beweise würde man meinen, auch der letzte Zweifel am menschengemachten Klimawandel sollte mittlerweile ausgeräumt sein.

Und doch gibt es Menschen, die die Existenz der Klimakrise nicht nur vehement bestreiten. Manch einer vermutet hinter den Hilferufen aus der Wissenschaft gar eine gigantische Verschwörung. Auf Telegram stehen derzeit nicht nur Solidaritätsbekundungen für Putin hoch im Kurs. Sondern auch Mythen über den Klimawandel.

Ein Beispiel dafür ist die sogenannte HAARP-Verschwörungserzählung. Hier behaupten Menschen, eine US-amerikanische Forschungsanlage im kalten Alaska würde insgeheim dazu dienen, das globale Klima zu manipulieren:

HAARP ist kein Klimaschutz sondern ein Wetterkriegs-Führung-Projekt.

Die Nutzbarmachung des Wetters zum Zwecke der Kriegsführung und Bevölkerungssteuerung ist bereits seit über einem Jahrhundert im Gange und wird weiter verfeinert.

Hinter dem unschuldigen Namen HAARP verbirgt sich der ultimative Todesstrahl.

Die Abkürzung HAARP steht für das High Frequency Active Auroral Research Program, „ein zivilgesellschaftliches Programm, mit dem die Atmosphäre untersucht wird“, sagt Josef Holnburger des ThinkTanks CeMAS.

„Bei HAARP handelt es sich um ein Projekt, eine Institution, bei der man sogar beim Tag der offenen Tür vorbeischauen könnte. Oder bei dem es Webcams gibt, mit denen man die Anlage beobachten kann. Bei der man selbst auch ein Praktikum machen könnte. Und obwohl es diese Transparenz gibt und diese Möglichkeiten, sich vor Ort anzusehen, wie das Ganze dort eben abläuft, gibt es seit Jahrzehnten Verschwörungserzählungen und sie sind nicht loszuwerden.“

Antnennen des US-amerikanischen Forschungsprogramms HAARP in Alaska.

Mit solchen Antennen, wie auf diesem Computerbild, wird auf dem HAARP-Gelände in Alaska die Atmosphäre erforscht. © imago / Science Photo Library

Der ThinkTank CeMAS untersucht den Einfluss von Verschwörungsideologien auf die Gesellschaft. In einschlägigen Gruppen auf Telegram stoßen Holnburger und sein Team immer wieder auf Mythen rund um die Forschungsanlage in Alaska. Bei HAARP wird seit vielen Jahren das Magnetfeld der Erde mittels spezieller Kurzwellensendeanlagen untersucht. Auf Telegram kursieren Geschichten darüber, dass hinter Extremwetterereignissen nicht etwa der Klimawandel, sondern eben jene Forschungsanlage stecken würde.

Das ist aus wissenschaftlicher Sicht vollkommen abwegig. Sagt auch der Physiker und Autor Florian Aigner: „Dort können 3,6 Megawatt erzeugt werden. Das klingt natürlich beeindruckend, entspricht aber der Leistung von ungefähr rund 3000 Staubsaugern. Damit kann man keine Naturkatastrophen auslösen.“

Im Netz findet man Dutzende Faktenchecks zum Thema. Doch Holnburger hat wenig Hoffnung, dass sich eingefleischte Anhänger der HAARP-Erzählung davon überzeugen lassen.

„Man kann Verschwörungserzählungen leider nicht widerlegen, weil sie jede Widerlegung zum Teil des Plans der vermeintlichen geheimen Elite machen. Auch bei noch so großer Transparenz meinen Menschen, da wiederum dann zum Beispiel einen geheimen Plan der vermeintlichen Elite zu erkennen, dass bei diesem Tag der offenen Türen einfach dann zum Beispiel ein Schauspiel abgespielt wird.“

Es gibt unzählige Verschwörungserzählungen, die sich um die Klimakrise ranken. Viele Verschwörungsideologen gehen sogar noch weiter und behaupten, es gäbe gar keine Erderhitzung. Naturkatastrophen und Extremwetterereignisse seien nur inszeniert:  

„Dort wird dann auf vermeintliche, na ja, Fehler in der Darstellung hingewiesen“, sagt Holnburger. „Auf sogenannte Crisis Actors, also angebliche Schauspieler, die dort Verletzte spielen würden. Das ist natürlich sehr makaber, insbesondere für diejenigen, die dort das Leben von Angehörigen verloren haben, weil das natürlich für die noch einmal eine zusätzliche traumatische Belastung ist, wenn es dann auch noch Menschen gibt, die ihnen unterstellt, dass sie gar nicht echtes Leid verspüren. Und dass es gar nicht eine Katastrophe gegeben hätte. Und dass sie zum Beispiel gar nicht ihr Haus oder ihre Freunde verloren hätten. Wir sehen das aber leider bei jeder Naturkatastrophe, dass es genau solche Menschen gibt.“

Eine andere verschwörungsideologische Deutung der Klimakrise sind sogenannte Chemtrails-Mythen. Menschen glauben, Flugzeug-Kondensstreifen am Himmel wären ein Indiz für heimliche Klimamanipulationen. Nach der Flutkatastrophe im Ahrtal im Jahr 2021 konnte CeMAS eine starke Zunahme der Verbreitung des Chemtrails-Mythos in deutschsprachigen Kanälen auf Telegram messen.

Mythen über Chemtrails und HAARP sind Teil eines generellen Trends. Seit geraumer Zeit ist zu beobachten, dass Influencer, die zuvor hauptsächlich Mythen über Corona verbreitet haben, ihre Anhängerschaft auf die Leugnung des Klimawandels einschwören. Immer wieder ist da etwa von einem „Great Reset“ die Rede, zu Deutsch bedeutet das so viel wie „Großer Neustart“.

„Die Verschwörungserzählungen um den ‘Great Reset’ behandeln immer einen vermeintlich globalen Plan zu Vernichtung der Weltwirtschaft. Hintergrund dieser Verschwörungserzählung ist ein Buch und ein Programm des Weltwirtschaftsforums-Gründers Klaus Schwab. Der nannte sein Buch auch ‘Great Reset’ und behandelt dort eigentlich Thesen, wie während und nach der Corona-Pandemie eine Wirtschaft so aufgebaut werden müsste, damit sie a) den Klimawandel vielleicht noch begrenzen und b) wie sie sich auf die Umstellungen, die im Zuge dessen notwendig wären, anpassen könnte. Die Verschwörungserzählungen haben mit diesen Ideen allerdings wiederum wenig zu tun. Die vermuten hinter jeder Maßnahme eben zur Eindämmung des Klimawandels den vermeintlich geheimen Plan zur Zerstörung der Weltwirtschaft.“

Im Netz kursiert ein Bild von Schwab, auf dem er eine schwarze Robe trägt und es heißt, die Aufnahme würde beweisen, dass Schwab insgeheim Satanist wäre. Tatsächlich handelt es sich bei dem Kleidungsstück um eine traditionelle Robe der Technischen Universität Kaunas in Litauen, die Schwab 2017 im Rahmen einer feierlichen Zeremonie die Ehrendoktorwürde verliehen hatte. Wie so oft, ist die Realität deutlich unspektakulärer als das, was Verschwörungsideologen daraus machen. In ihren Geschichten wird vor allem Angst verbreitet: Vor globalen Eliten, einer drohenden Diktatur, einer alles kontrollierenden Weltregierung.

Dass Schwab ausgerechnet des Satanismus beschuldigt wird, ist kein Zufall. Der Mythos einer globalen satanistischen Verschwörung ist ein Hauptmotiv der QAnon-Verschwörungserzählung. QAnon, das ist jene, vor allem in den USA vernetzte Gruppierung, die Donald Trump als eine Art Messias feiert. Die Leugnung des Klimawandels ist in diesem Milieu stark verbreitet. Vor einigen Jahren hatte etwa eine republikanische Abgeordnete, die zu den prominentesten Aushängeschildern der Szene zählt, besonders drastische Aussagen verbreitet.

„Marjorie Taylor Greene hat in einem Facebook-Post aus dem Jahr 2018 behauptet, dass die Waldbrände in Kalifornien doch vielleicht von einem Space-Laser, also von einem Weltraumlaser verursacht worden seien, der die Sonnenenergie gebündelt hätte und somit also das Feuer entfacht hätte, und sie hat dann weiter suggeriert, dass die Kräfte hinter diesem angeblichen Spacelaser – der nicht existiert – die Rothschild Familie sei. Also dass ein geheimer Kabal von Rothschilds hinter diesen Vorgängen stecke, und das ist natürlich ein ganz alter antisemitischer Topos“, erklärt die Autorin Annika Brockschmidt, die die extreme Rechte in den USA seit vielen Jahren analysiert.

Egal ob HAARP, Chemtrails oder eben die angebliche Existenz jüdischer Spacelaser – für Teile der QAnon-Szene hängt das alles irgendwie mit Trumps angeblichem Kampf gegen eine globale Verschwörung zusammen. Professor Dr. Roland Imhoff forscht an der Uni Mainz zum Thema Verschwörungsglaube:

„Die sozialwissenschaftliche Forschung legt nahe, dass es bei Verschwörungstheorien stärker um die Weltsicht dahinter, als um den konkreten Fall geht. Es geht also nicht so sehr um eine saubere datengetriebene Sezierung der Evidenz zu einem bestimmten Ereignis, um dann zu dem Schluss zu kommen: ‘Aha, da war wahrscheinlich eine Verschwörung am Werk.’ Sondern eher umgekehrt.

Das ist so eine Top-Down übergestülpte Weltsicht, dass eine Verschwörung hinter eigentlich allem steckt. Und dann wird konkret nach Evidenz dafür gesucht. Dazu kann man natürlich auch Anleihen bei anderen Verschwörungsnarrativen machen und diese eklektizistisch zusammenweben. Das sehen wir tatsächlich häufig, dass eigentlich unabhängig vom Startpunkt viele Verschwörungsnarrative am Ende bei den Rothschilds oder eben direkt bei den Juden landen.“

Verschwörungserzählungen sind in der Regel ähnlich aufgebaut. Im Kern geht es stets darum, dass die Welt durch im Geheimen operierende bösartige Kräfte bedroht wird. Auch die verwendeten sprachlichen Codes ähneln sich. Kaum eine Verschwörungserzählung kommt ohne den Verweis auf eine angeblich drohende “Neue Weltordnung”, Warnungen vor einem “Deep State” oder dem Aufruf zum Kampf gegen “globale Eliten” aus.

“Psychologisch ist das vielleicht auch Teil des Erfolgs von vielen Verschwörungstheorien, weil wir wissen, dass Menschen Gefühle der Vertrautheit, also das Gefühl, etwas schon einmal gehört zu haben, regelmäßig verwechseln mit tatsächlicher Evidenz. Etwas, das wir wiederholt hören, halten wir für wahrer als etwas, dass wir zum ersten Mal hören. Und so kann es durchaus instrumentell sein, die immer gleichen Versatzpunkte einzubinden in ein Narrativ“, sagt Imhoff.

Verschwörungserzählungen fallen besonders dort auf fruchtbaren Boden, wo bereits ein grundlegendes Misstrauen gegen die Wissenschaft herrscht. Das bestätigt auch der Klimaforscher Prof. Dr. Rahmstorf, dessen Arbeit unter anderem in Berichte des Weltklimarats (IPCC) eingeflossen ist:

“Beim Thema Corona sehen wir eine Ablehnung der wissenschaftlichen Erkenntnisse, genau dort, wo sie den Menschen nicht gefallen, wo es unbequeme Konsequenzen für sie hat. Und das ist im Grunde das Gleiche, was wir ja auch gegenüber der Klimawissenschaft schon seit Jahrzehnten erleben.”

Wer während der Pandemie einschlägigen Influencern auf Social Media gefolgt ist, kam unweigerlich in Kontakt mit weiteren Verschwörungserzählungen. Nach und nach entsteht so ein in sich geschlossenes Weltbild. Die Grundannahme einer Verschwörung wird dann auch nicht mehr hinterfragt. Anhänger verrennen sich auf Suche nach immer neuen vermeintlichen Indizien. Ein häufiger Slogan in der Szene lautet “Connect the Dots!” – also, “Verbinde die Punkte”.

“Sie gehen ja davon aus, dass es keine Zufälle gibt, dass Politik immer – in Anführungszeichen – etwas Schlechtes im Schilde führen würde. Dass alles geplant ist, und zwar alles so geplant ist, dass es zum Schlechten der Bevölkerung durchgesetzt wird. Und deswegen ordnen sie jede Naturkatastrophe vermeintlichen Hintermännern zu. Und dass kann natürlich wiederum das Weltbild wieder ein wenig geordneter machen. Man hat auch ein Feindbild, für das man sehr vieles verantwortlich machen kann. Nämlich am Ende sogar den Klimawandel“, erklärt Holnburger.

Solche Feindbilder haben leider ernste Konsequenzen. Klimaforscher berichten immer wieder von Einschüchterungsversuchen. Der Hass der Szene entlädt sich außerdem in unzähligen Drohungen gegen prominente Klimaaktivistinnen wie Greta Thunberg oder Luisa Neubauer.

Faktenchecker veröffentlichen zwar regelmäßig Artikel, in denen Klimamythen als solche entlarvt werden. Doch zu Menschen, die Journalisten ebenfalls für einen Teil der Verschwörung halten, dringt das nicht mehr durch. Dass die Mehrheit der Gesellschaft das Ganze völlig anders sieht, wird manchmal sogar als Bestätigung gesehen. Anhänger sind überzeugt, zu einer handverlesenen Gruppe von Auserwählten zu gehören, die etwas ganz Großem auf der Spur sind.

Dieses Gefühl dockt hervorragend an das menschliche Bedürfnis nach Einzigartigkeit an. Je mehr Zeit vergeht, desto schwieriger fällt außerdem der Ausstieg. Wer will sich schon eingestehen, sich ganz umsonst auf den Dritten Weltkrieg vorbereitet oder für nichts und wieder nichts mit Freunden gebrochen zu haben? Hinzu kommt: Auf inhaltlicher Ebene sind Verschwörungserzählungen zwar nicht unbedingt die einfachere Erklärung. Auf emotionaler Ebene sind sie aber oft befriedigender.

„Verschwörungsnarrative liefern klare Antworten und eindeutige Schuldige, wo wissenschaftliche Perspektiven vielleicht nur weniger befriedigende Antworten liefern können. Ja, also wenn ich sage, Klimawandel gibt es nicht und wir müssen den Lügnern, die das behaupten, das Handwerk legen und dann haben wir morgen unsere Freiheit zurück, ist das sehr viel verführerischer, als zu sagen, der Klimawandel ist menschengemacht. Aber wie genau komplexe Klimasysteme ineinandergreifen, wissen wir nicht hundertprozentig genau, wir können nur unterschiedliche Modellszenarien entwerfen. Und ob man den Wandel effektiv stoppen kann, können wir auch nicht sagen“, sagt Imhoff.

Gerade bei besonders absurden Geschichten, wie etwa dem Glauben an jüdische Space-Laser, neigen einige Menschen dazu, eine psychische Erkrankung zu vermuten. Doch mit Wahnvorstellungen, etwa im Rahmen einer klinischen Paranoia, hat das in der Regel nichts zu tun. Das generelle Phänomen, hinter großen Ereignissen eine Verschwörung zu vermuten, ist zudem verbreiteter als viele annehmen. Die von der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegebene Mitte-Studie kam 2019 zu dem Ergebnis, dass etwa ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland eine erhöhte Empfänglichkeit aufweist.

“Das ist schon einer der robustesten Befunde der sozialwissenschaftlichen Forschung in den letzten Jahren, dass Menschen sich sehr systematisch darin unterscheiden, wie anfällig sie sind für Verschwörungserzählungen oder wie sehr sie eigentlich jedweder Verschwörungsidee zustimmen. Und unser Blick darauf ist mittlerweile, dass es tatsächlich auch um dieses Weltbild geht, um ein dahinterstehendes Weltbild einer Verschwörungsmentalität, dass dann ausgerollt wird auf konkrete Fälle.

Und dieses Weltbild, dass alles, was in der Welt passiert, von geheimen Plänen bestimmt wird, ist auch nicht so sehr eine Frage des Alters oder Geschlechts. Wir haben relativ stabile Zusammenhänge mit Gefühlen der Machtlosigkeit, mit Gefühlen des Scheiterns und auch mit gesellschaftlicher und ökonomischer Marginalisierung“, sagt Imhoff.

Die Verbreitung von Verschwörungserzählungen zur Klimakrise beschränkt sich keineswegs auf Telegram-Kanäle. 2012 – lange vor seinem Einzug ins Weiße Haus – mutmaßte Donald Trump in einem Tweet, das Konzept des Klimawandels sei von China erfunden worden, um US-Unternehmen weniger wettbewerbsfähig zu machen. Als er während seiner Präsidentschaft schließlich das Pariser Klimaschutzabkommen aufkündigte, war der Jubel unter seinen Anhängern groß.

Laut einer Studie des Pew Research Centers aus dem Jahr 2021, sind 87 Prozent der US-Amerikaner, die eher links wählen, darüber besorgt, dass sie noch zu Lebzeiten von negativen Auswirkungen des Klimawandels betroffen sein könnten. Bei jenen, die eher rechts oder konservativ wählen, sind es hingegen nur 28 Prozent. Selbst wenn die meisten von ihnen sicherlich nicht an ein satanistisches Komplott im Sinne von QAnon glauben – Mythen rund um den Klimawandel sind in der US-amerikanischen Rechten stark verbreitet.

Brockschmidt vermutet hierfür auch ideologische Gründe: “Da die effektive Bekämpfung des Klimawandels nur durch globale Zusammenarbeit erfolgen kann, eignet sich der Klimawandel besonders als Ziel für solche Verschwörungsmythen. Internationale Organisationen, wie zum Beispiel die UN, werden als geheime Kabale dargestellt, die ein ´One-World-Government` schaffen wollen. Da fallen dann oft so klassische Verschwörungsvokabeln wie ´Globalisten` oder ´New World Order`.“

In Teilen der religiösen Rechten wird zur Begründung der Ablehnung von Klimaschutzmaßnahmen sogar die Bibel herangezogen.

„Bei Evangelikalen ist es so, dass beispielsweise der Glaube an die Rapture, also, dass Jesus auf die Erde zurückkehren und alle Rechtgläubigen quasi mit sich nehmen wird, und die Erde zerstört wird, das führt dazu, dass viele Gläubige dieser theologischen Richtung zwar teils an den Klimawandel glauben, aber keinerlei Handlungsbedarf sehen. Manche sehen Naturkatastrophen auch als positives Zeichen, das auf die nahende Endzeit, und somit die Rückkehr Gottes auf Erden hinweist. Und wieder andere sehen die von Gott bestimmte Rolle des Menschen eher als Auftrag die Ressourcen der Erde komplett für sich selbst auszunutzen.”

Brockschmidt weist zwar darauf hin, dass dies natürlich nicht auf alle Evangelikalen in den USA zutrifft. Einige deuten Maßnahmen zum Klimaschutz auch als Versuch, Gottes Schöpfung zu bewahren. Die Bandbreite in politisch eher rechten Gemeinden reicht jedoch vom Zweifel am Klimawandel bis hin zu drastischen Verschwörungsmythen:

„Es gibt zum Beispiel – das ist schon ein paar Jahre her – eine DVD-Serie mit dem Namen ´Resisting the Green Dragon`, wo behauptet wird, dass Evironmentalism – so wird das ja dann gerne genannt – eine falsche Weltsicht sei, die versuchen würde, Zitat, ´Amerika und die Welt unter ihre zerstörerische Kontrolle zu bekommen`“, sagt Brockschmidt.

Eine Person schwebt dem Sonnenlicht entgegen.

Rapture: Evangelikale glauben an die Erlösung und den Eintritt in das Himmelreich. © imago / YAY Images

Laut einer Untersuchung aus dem Jahr 2022, die vom Yale Program on Climate Change Communication und der George Mason University durchgeführt wurde, sind 16 Prozent der US-Amerikaner überzeugt, es gäbe keinen Klimawandel. 27 Prozent denken, der Mensch sei nicht der Hauptverursacher. Nicht jeder, der den menschengemachten Klimawandel leugnet, begründet seine Haltung mit Verschwörungserzählungen. Doch wenn es darum geht, zu erklären, warum renommierte Klimaforscher vor einer drohenden Katastrophe warnen, kommen oft verschwörungsideologische Narrative über die Wissenschaft ins Spiel. Und man bezieht sich auf wissenschaftlich fragwürdige Quellen.

“Eine Organisation, die ganz vorne mit dabei ist, was Leugnung des Klimawandels angeht, ist das sogenannte Heartland Institute. Das ist vor allem mit Geld aus der Industrie finanziert. Maßgeblich sind die Koch-Brüder daran beteiligt. Die gehören zu den wichtigsten Großsponsoren der amerikanischen Rechten“, sagt Brockschmidt.

Regelmäßig werden Studien publiziert, die den menschengemachten Klimawandel in Zweifel ziehen. Dass die Veröffentlichungen es in der Regel nicht in wissenschaftlich renommierte Fachzeitschriften schaffen, ist besonders für diejenigen, die sowieso an eine große Wissenschaftsverschwörung glauben, kein Grund, misstrauisch zu werden.

2017 verschickte das Heartland Institute mehr als 25.000 Exemplare eines Buchs mit dem Titel „Warum sich Wissenschaftler über globale Erwärmung uneinig sind“ an Lehrer in den USA. Fragwürdige Gegenstimmen werden darin zu gleichwertigen Gegenpositionen zu Klimaforschern aufgebauscht. Im selben Jahr beschloss die Regierung des US-Bundesstaates Idaho, das Thema Klimawandel vom Lehrplan zu streichen. Der Klimaforscher Prof. Dr. Stefan Rahmstorf findet derartige Lobbyaktivitäten hochproblematisch:

„Anders als bei Corona steckt beim Klima hinter der Problemverleugnung eine extrem mächtige Wirtschaftslobby, hauptsächlich die fossile Energiewirtschaft. Die mit dem Einsatz von Hunderten Millionen Dollar der Öffentlichkeit Sand in die Augen streut, Desinformation verbreitet, und das Problem verharmlost. Siehe etwa die Firma ExxonMobil in den USA, die schon seit den 70er- und 80er-Jahren durch eigene Forschung völlig korrekt die globale Erwärmung vorhergesagt hat, durch ihre Produkte, sich dann aber entschieden hat, statt ihr Geschäftsmodell zu ändern, lieber die Öffentlichkeit über das Ausmaß der Krise zu täuschen.“

Die Lobbybemühungen beschränken sich nicht nur auf die USA. ExxonMobil unterstützte bis 2007 mit mehreren Hunderttausend Euro das Committee for a Constructive Tomorrow, kurz CFACT. Der Gründer des europäischen Ablegers von CFACT, Holger Thuß, ist auch Präsident des Europäischen Instituts für Klima und Energie, kurz  EIKE. Der Verein mit Sitz in Jena kooperierte mit dem Heartland Institute und anderen einschlägigen US-Lobbygruppen.  

Im Vergleich zu den USA ist Klimawandelleugnung in Deutschland allerdings weniger stark verbreitet. Laut einer Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2021 sind nur vier Prozent überzeugt, den menschengemachten Klimawandel gäbe es nicht. Schließt man allerdings auch diejenigen mit ein, die starke Zweifel hegen, steigt der Wert schon auf neun Prozent. Vergleichbare Werte zeigen sich auch bei der Frage, ob Studien, die den Klimawandel belegen, grundsätzlich gefälscht seien – diese Menschen glauben also offenbar an eine Verschwörung in der Wissenschaft.

Etwas weniger als zehn Prozent klingt vielleicht nach wenig – gerade im Vergleich zu den USA –, aber auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet sind das immer noch mehrere Millionen Menschen. Menschen, die trotz mehrerer Jahrhundertsommer immer noch nicht überzeugt sind. Woran liegt das? Natürlich spielen hier viele Faktoren eine Rolle. Ähnlich wie in den USA schafften es Klimawandelleugner jedoch auch hierzulande, ihre Thesen immer wieder in großen Medien zu verbreiten.

“Ich bin fest überzeugt, dass in der Öffentlichkeit ein völlig falscher Eindruck entstanden ist, dadurch, dass viele Medien die Ergebnisse der seriösen Klimaforschung fast gleichberechtigt dubiosen, falschen Klimaskeptikerthesen gegenübergestellt haben, sodass in der Öffentlichkeit der Eindruck entstand, die Experten streiten sich, es gibt da zwei Lager. Und man nicht verstanden hat, dass es seit Jahrzehnten hier einen weitest gehenden Konsens in der Wissenschaft gibt“, sagt Stefan Rahmstorf.

Forschende beklagten bei der Medienberichterstattung der vergangenen Jahrzehnte immer wieder eine “False Balance”, also eine grundlegende Unausgewogenheit. Etwa, wenn bei TV-Debatten über den Treibhauseffekt Klimawandelleugner manchmal fast genauso viel Sendezeit bekamen, wie seriöse Klimaforscher. Eine wohlwollende Erklärung für dieses Phänomen wäre, dass Redaktionen aus einem falschen Verständnis von Objektivität heraus “alle Meinungen” zu Wort kommen lassen wollten. Eine andere Erklärung ist weniger schmeichelhaft: Streit sorgt in der Regel eben auch für höhere Einschaltquoten.

“Es wurde sogar mal, als unser Chef bei einer der großen Talkshows war, von dieser Talkshow bei unserer Pressestelle vorher angerufen und gefragt, ob wir denn keinen Wissenschaftler kennen würden, der das Ganze mit der vom Menschen verursachten Erwärmung bestreiten würde. Sie würden gar keinen finden. Am Ende haben sie eben dann doch einen gefunden, der in der seriösen internationalen Fachliteratur zwar noch nie was dazu publiziert hat, aber einfach behauptet hat, die Erderwärmung liege an der Sonnenaktivität”, sagt Rahmstorf.

Komplexe Zusammenhänge sind nur bedingt Talk-Show-geeignet. Der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber beschrieb das Problem einmal wie folgt: „Stellen Sie sich vor, Einstein müsste bei Maybrit Illner die Relativitätstheorie verteidigen. Er hätte nicht den Schimmer einer Chance.“ Bei der Frage, ob eine These als plausibel wahrgenommen wird, geht es eben nicht nur darum, wer die besseren Studien vorweisen kann. Als Laie ist es zudem schwer einzuschätzen, wer tatsächlich Experte ist und wer nicht.

Ein “Star” der Klimawandelleugner-Szene war etwa der 2020 verstorbene Fred Singer. Der US- amerikanische Physiker war in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur beim Thema Klimawandel umtriebig. Zuvor hatte er Studien zu Gesundheitsschäden durch Tabak infrage gestellt sowie einen Zusammenhang zwischen industriellen Abgasen und saurem Regen angezweifelt. Dass der (mittlerweile global verbotene) Stoff FCKW das Ozonloch verursacht, hielt er ebenfalls für fragwürdig. Auf viele Zuschauer wirkte der Lobbyist jedoch wie ein seriöser Klimaforscher.

Natürlich ist es auch bequemer, den Klimawandel für einen Schwindel zu halten, damit man sein Verhalten nicht ändern muss. Geht es also einigen letztendlich darum, so weitermachen zu können, wie bisher?

“Die Möglichkeit, dass Verschwörungsglauben nicht Ursache von Verhalten ist, sondern eine Folge dessen, ist tatsächlich eine in der Forschung bislang wenig bedachte, aber durchaus plausible. Der Großteil der Forschung geht davon aus, dass z.B. Menschen, die glauben, dass der Klimawandel eine Lüge ist, deswegen auch nicht ihren Fußabdruck reduzieren. Es ist aber natürlich auch umgekehrt denkbar. Weil ich weiterhin exzessiv Fleisch essen will, bestreite ich einfach den menschengemachten Klimawandel. Beide Wirkrichtungen sind möglich und die schließen sich auch logisch überhaupt nicht aus“, sagt Imhoff.

Laut einer Untersuchung sind Menschen, die mit Klima-Verschwörungserzählungen konfrontiert werden, anschließend weniger bereit, den eigenen CO2-Ausstoß zu senken. Damit dieser Effekt eintritt, braucht es gar keine starke Überzeugung – allein das Streuen von Zweifeln reicht aus. Das ist ziemlich erschreckend, denn die Klimakrise ist derart dringlich, dass es jetzt wahrlich auf jede und jeden ankommt.

Aus Sicht der Physik wäre es noch immer möglich, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken und damit das Schlimmste zu verhindern. Woran es derzeit scheitert, ist der politische Wille. In einer solchen Situation entfalten Klimamythen eine besonders toxische Wirkung. Denn auch wenn Menschen beschließen, den Klimawandel zu leugnen – früher oder später holt uns alle dann doch die Realität ein; mit aller Wucht und womöglich unumkehrbar.


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