Neue Töne deutscher Ukraine-Korrespondenten – was steckt dahinter?
Wer sich die Videoberichte deutscher Korrespondenten aus der Ukraine anschaut, wird die Welt nicht wiedererkennen. Nachdem man jahrelang den Selenskyj-Hype angeheizt und fast ausschließlich „positive“ Geschichten aus der Ukraine gebracht hat, spricht man nun offen über die Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung, eine erschöpfte ukrainische Armee und massenhaft in die eroberte Stadt Mariupol zurückkehrende Flüchtlinge durch russische Truppen. Die offenbar geplante Senkung des Wehrpflichtalters in der Ukraine auf 18 Jahre wird als „furchtbar“ bezeichnet. Was ist der Grund für diese realistischere Berichterstattung? Eine Analyse von Ulrich Heyden.
Der Stellungskrieg in der Ostukraine ist vorbei. Fast täglich erobert die russische Armee eine Stadt. Nach Angaben des Instituts für Kriegsforschung (ISW) in Washington haben die russischen Streitkräfte seit dem 1. September 2024 das Tempo ihrer Vorstöße in den Richtungen Pokrowsk, Kurachowo, Wuhledar und Welyka Nowosilka sowie in diesen Gebieten seit September deutlich erhöht 1 2024 mindestens 1.103 Quadratkilometer erobert. Im Vergleich dazu hatten die russischen Streitkräfte im gesamten Jahr 2023 durch die ukrainische Gegenoffensive nur 387 Quadratkilometer gewonnen. Das Erfolgsrezept der Russen: Zangenbewegungen gegen Städte und Gebiete, mobile Einheiten, eine gut koordinierte Armee und offenbar eine hohe Motivation.
52 Prozent der Ukrainer unterstützen Verhandlungen
Der Einsatz der russischen Oreschnik-Rakete sowie die fast täglichen Angriffe russischer Drohnen auf ukrainische Strom- und Wärmekraftwerke führten zu einem Rückgang der Kampfmoral der ukrainischen Soldaten und zur Kriegsmüdigkeit der ukrainischen Bevölkerung.
Natürlich haben Meinungsumfragen unter Kriegsbedingungen nur eine begrenzte Aussagekraft. Doch laut einer Meinungsumfrage des Gallup-Instituts sind 52 Prozent der Befragten in dem von Kiew kontrollierten Teil der Ukraine dafür „Schnellstmögliche Verhandlungen“.
Ungewöhnliche Offenheit der deutschen Korrespondenten
Die deutschen Korrespondenten, die per Videoschalte von der Front in der Ukraine berichten, machen aus dem Meinungswandel keinen Hehl. Sie veranschaulichen es sogar anhand konkreter Beispiele.
Das ist neu, denn seit dem Putsch in der Ukraine im Jahr 2014 versuchen die deutschen Medien, überwiegend positive Berichte aus der Ukraine zu liefern. Sie berichteten zwar über Korruption, lobten aber auch die Tatsache, dass in der Ukraine auf Drängen des Westens eine Antikorruptionsbehörde eingerichtet worden sei. Dass rechtsextremistische Terrorgruppen in der Ukraine seit 2014 Jagd auf Oppositionelle machen, sie mit grüner Farbe auf die Straße sprühen, sie schlagen und sogar ermorden, wurde nicht gemeldet, denn das würde das Bild einer anstrebenden Ukraine vermitteln Europa, Freiheit und Demokratie. gestört.
Auch darüber, dass der Gebrauch der russischen Sprache ab 2014 stark reglementiert wurde und im Frühjahr 2022 alle Oppositionsparteien und später auch die Russisch-Orthodoxe Kirche verboten wurden, wurde nicht oder nur am Rande berichtet.
Korrespondent Wanner: „70.000 Flüchtlinge sind nach Mariupol zurückgekehrt“
Was sagen die deutschen Korrespondenten in der Ukraine konkret? Am Montag berichtete der Korrespondent von Die WeltChristoph Wanner, pro Videoschaltung aus Kiew:
„Ich habe kürzlich in der ukrainischen Nachrichtenagentur Unian gelesen, dass 70.000 Menschen nach Mariupol am Asowschen Meer – das alles unter russischer Besatzung steht – zurückgekehrt sein sollen, weil sie einfach nicht mehr als Binnenflüchtlinge umherirren wollen , weil sie kriegsmüde sind, weil die Unterstützung in der Ukraine oft nicht ausreicht. Deshalb sagen die Leute, wir sollten besser in unsere Heimat zurückkehren. Und es ist ihnen eigentlich egal, wer das Gebiet dort kontrolliert: Russland oder die Ukraine. Auch ich habe hier solche Eindrücke gewonnen.“
Ukrainischer Offizier: „Wir müssen diesen Krieg beenden“
Am Dienstag berichtete Paul Ronzheimer für Die Welt – auch per Videoschalte – über seine Eindrücke an der Front in der Ostukraine. Ronzheimer lässt den ukrainischen Offizier „Andriy“ von der 68. Brigade zu Wort kommen. Auf dem Bild ist der Offizier in Kampfuniform zu sehen. Er erklärt:
„Meine persönliche Meinung ist, dass der Krieg in einer Sackgasse steckt. In den letzten drei bis vier Monaten mussten wir uns zurückziehen. Die Russen haben das Tempo erhöht und verfügen über die Mittel, um voranzukommen. Sie haben die Leute und sind uns zahlenmäßig überlegen. Wir müssen diesen Krieg beenden. Wir müssen verhandeln, aber wir wollen unsere Gebiete nicht aufgeben.“ Ronzheimer ergänzt: „Die Soldaten wissen nicht, wie sie sich verteidigen sollen.“
Auch am Dienstag berichtet Christoph Wanner aus der Stadt Pokrowsk in der Ostukraine, sieben Kilometer von der Front entfernt, dass Menschen aus der Stadt nicht fliehen, „weil sie nicht wissen, wohin sie gehen sollen.“ Die Mieten in der Ukraine sind hoch. Die Unterstützung der Menschen ist nicht besonders gut (…) Viele Einwohner kehren sogar in die Stadt zurück, obwohl die russische Armee immer näher rückt.“ Die Menschen würden hoffen, dass die Stadt „nicht von den Russen bombardiert wird“.
Nach einem solchen Bericht fragen sich einige Zuschauer wahrscheinlich, was aus der Angst der Ukrainer vor den bösen Russen geworden ist.
Korrespondent Wanner: „Ich dachte, es sei russische Propaganda“
Ende Oktober war ich bereits aufmerksam geworden, als Korrespondent Wanner, der bis dahin aus Moskau berichtet hatte, plötzlich in Kiew vor der Kamera stand und per E-Mail schickte Videoschaltung sagte, dass er in Moskau die Berichte über die gewaltsame Gefangennahme ukrainischer Männer auf der Straße durch ukrainische Sicherheitskräfte, um sie an die Front zu bringen, immer für „russische Propaganda“ gehalten habe. Doch nun – vor Ort in Kiew – erfuhr er aus erster Hand, dass es diese brutalen Methoden tatsächlich gibt.
Krieg um Lithium?
In den Berichten deutscher Korrespondenten in der Ukraine gibt es einen weiteren neuen Ton. Das berichtet Weltkorrespondent Wanner immer wieder über die Gefahr, dass wichtige Rohstoffvorkommen in der Ukraine – etwa das größte ukrainische Lithiumvorkommen bei Schewtschenkiwske – durch den Vormarsch Russlands in Richtung Karachow in Gefahr geraten. Sollten die Lithiumvorkommen in die Hände der Russen fallen, könnte die Ukraine ihr Versprechen, gemeinsam mit westlichen Geldgebern die Rohstoffvorkommen in der Ostukraine auszubeuten, wohl nicht einhalten.
Laut einem Fachportale Die Ukraine verfügt über die größten Lithiumvorkommen in Europa. Insgesamt gibt es vier Vorkommen, zwei in der Zentralukraine und zwei im umstrittenen Gebiet in der Ostukraine, in der Nähe der Städte Schewtschenkiwske und Kruta Balka.
Deutschlands Stimme für das Ausland Deutsche WelleDas Thema „Seltene Erden“ ist in der Ukraine seit Monaten auf dem Radar. Das berichtete der Sender im Juli dieses Jahres Die Lithiumvorkommen der Ukraine könnten zu den Siegesbeute zählen, die Russland anstrebt. | DW-Nachrichten – YouTube zu einem im Juli 2021 in Kiew geschlossenen strategischen Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine zur Ausbeutung „Seltener Erden“. In den Sendungen der Deutsche Welle Experten aus den USA warnten, dass Putin seine großen Machtpläne durch die Eroberung von Seltenerdvorkommen in der Ukraine verwirklichen könnte.
Bereiten deutsche Korrespondenten die Zuschauer auf Verhandlungen vor?
Was ist der Grund, warum deutsche Korrespondenten realistischer berichten als zuvor? Bereiten Sie die deutsche Bevölkerung auf die Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine vor, die Trump Medienberichten zufolge anstrebt? Oder vermitteln die realistischeren Berichte der Bevölkerung, dass es in der Ukraine „deutsche Solidarität“ braucht und dass nun Truppen aus Deutschland und anderen europäischen Ländern der Ukraine zu Hilfe kommen müssen, um einen russischen Sieg zu verhindern?
Das SPD-Wahlplakat mit Boris Pistorius in Kampfuniform („Wir kämpfen für Ihre Sicherheit“) und die kriegerischen Reden von Friedrich Merz scheinen mir ein Hinweis darauf zu sein, dass der Zug in diese Richtung gehen sollte.
Aufgrund des drohenden Einsatzes der Oreshnik-Rakete stehen jedoch alle Träume, Truppen aus der EU in die Ukraine zu schicken, unter einem großen Fragezeichen. Denn Russland hat deutlich gemacht, dass die Entsendung von Truppen mit dem Einsatz von Oreschnik beantwortet wird.
Titelbild: breakermaximus / Shutterstock
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