Nicht in unserem Namen
Am 13. Juni beginnt eine Veranstaltung in Wien, die seit langem undenkbar ist: Juden aus der ganzen Welt versammeln sich rabbi, schuhüberlösen, Intellektuelle, Mizrachi-Aktivisten, linke Diaspora-Stimmen, um den Zionismus in öffentlicher, selbstbewusstes und organisierten zu kritisieren. Nicht aus Hass, sondern aus der Verantwortung. Nicht als Tabu -Verstoß, sondern als Hintergrund für das Ethos der jüdischen Geschichte. Der Erster jüdisch-antizionistischer Kongress ist kein marginales Phänomen. Er ist das moralische Symptom einer Veränderung – und eine Einladung, endlich über die Begriffe zu sprechen, die seit Jahrzehnten durch politische Kritik gelähmt sind. Aus Detlef Koch.
Dieser Beitrag ist auch als Audio -Podcast erhältlich.
Podcast: In einem neuen Fenster spielen | Herunterladen
Wien, die Stadt Herzl, wird zur Bühne einer jüdischen Opposition.
Ein Geburtsort wird zur Grenze
Es ist kein Zufall, dass dieser Kongress hier stattfindet. Wien war der Ausgangspunkt der zionistischen Bewegung, Theodor Herzls spirituelles Zuhause, wo die Idee eines jüdischen Staates zum ersten Mal den politischen Raum gewann. Aber Wien war auch der Ort, an dem Herzl scheiterte: 1897 wollte er den ersten zionistischen Kongress hier abhalten – aber die jüdische Gemeinde lehnte ab. Die Idee schien zu gefährlich, zu radikal, zu spaltend.
Heute, über ein Jahrhundert später, kehrt die Debatte zurück. Nicht als historische Fußnote, sondern als zeitgenössische Analyse. Denn was damals als jüdische “Normalisierung” gedacht war – die Gründung seines eigenen Staates -, wurde laut den Stimmen in Wien in ein internationalistisches Projekt, das Gewalt, Ausschluss und Apartheid rechtfertigt. Der Zionismus, so sagt sie, hat sich von der jüdischen Ethik entfernt. Und noch mehr: Er hat das moralische Erbe des Judentums usurpuliert – “in unserem Namen”, aber ohne unsere Zustimmung.
Eine pluralistische Wiedereroberung
Der Kongress sieht sich daher nicht als Angriff, sondern als Rückeroberung. Als Versuch, die Vielfalt der jüdischen Stimmen wieder zu vergrößern. In einer Welt, in der Israel die einzige Stimme der “Juden” erklärt wird, ist dies ein Akt der politischen Hygiene.
“Wir wollen den Zionismus nicht gleich machen wie das Judentum. Das Israel kann kritisiert werden -aus einer tief jüdischen Haltung”, sagt Dalia Sarig, Co -Organizer und Sprecherin der Viennese Anti -Zionist -Initiative. Sie spricht leise, entschied sich aber. Der Vorwurf, anti -semitisch zu sein, ist eine Waffe geworden – gegen Juden, die sich weigern, sich zu leisten, zu unterdrücken.
Und so sitzen sie jetzt in Wien, Stephen Kapos, Holocaust -Überlebenden aus Ungarn, der heute um die Rechte der Palästinenser kämpft. Ilan Pappé, Historiker aus Haifa, der die Nakba nicht als Mythos bezeichnet, sondern als dokumentierte ethnische Reinigung. Yakov Rabkin, orthodoxer Intellektueller aus Kanada, der das ideologische Projekt Zionismus theologisch als Fehler sieht. Reuven Abergel, Mizrachi -Aktivist, der an die Entreparanz orientalischer Juden in Israel erinnert. Und Iris -Hefets, geboren in Israel, Psychoanalytiker in Berlin, dessen Kritik an Israel den Vorwurf des “jüdischen Selbst -gehalten” erhalten hat.
Was verbindet, ist keine Ideologie, sondern ein moralischer Reflex. Die Überzeugung, dass die jüdische Geschichte nicht dazu dient, neue Ungerechtigkeiten zu legitimieren. Und dass die “nie wieder”, mit der die europäische Politik so beliebt ist, nicht selektiv betrachtet werden darf.
“Nie wieder” für alle
Die politische explosive Kraft des Kongresses ist genau hier. Weil er verlangt, was die politische Klasse Europas seit Jahren vermeidet: eine universelle Anwendung der Lehren aus dem Holocaust. Nicht als Relativierung, sondern als Verpflichtung. Dem Argument zufolge darf jeder, der sich auf die Schoah bezieht, nicht schweigen, wenn ein anderer Volk heute systematisch entlassen, bombardiert und heute blockiert wird. “Ich bin ein Holocaust -Überlebender”, sagt Stephen Kapos in seiner Eröffnungsrede. “Ich weiß, was es bedeutet, wenn eine Person entmenschlich ist. Was in Gaza passiert, verstößt gegen alles, wofür unsere Geschichte stehen sollte.”
Ein Satz, der die Linien verschiebt. Nicht weil er provokativ wäre – sondern weil er sich weigert, die Geschichte als Besitz zu behandeln. Nach Angaben des Tenors ist der Shoah kein diplomatisches Kapital, sondern ein moralisches Versprechen. Und dieses Versprechen endet nicht mit ethnischen Grenzen.
Hier kommt auch der zentrale Slogan des Kongresses ins Spiel: “Nie wieder – für alle”. Ein Satz, der so einfach klingt, dass Sie Ihren Radikalismus fast ignorieren. Weil er die europäische „Gedächtnisanordnung“ in Frage stellt, die die moralisch unberührbare Kraft isoliert. Der Wiener Kongress sagt: Gerade weil wir Juden sind, dürfen wir nicht zum Schweigen gestellt werden. Gerade weil wir verfolgt wurden, sind wir verpflichtet, andere zu verteidigen.
Anti -Zionismus = Anti -Semitismus
Die Behauptung der Ereignisgegner ist bekannt: Der Anti -Zionismus ist der Anti -Semitismus. Die Tatsache, dass diese Anschuldigung gegen Shoah-Survivors, Rabbiner und israelische Dissidenten erhoben wird, zeigt, wie hohl sie geworden ist.
Der Antizionismus ist kein Hass für Juden – sondern eine Kritik an einer politischen Ideologie, die die Religion in den Zustand, die Moral in der militärischen Doktrin, die Geschichte im Besitz verwandelt. Und wenn Sie das alles nicht kritisieren dürfen, verlieren Sie das, was das Judentum immer auszeichnet: seine prophetische Stimme. “Der Antizionismus ist kein Widerspruch zum Judentum”, erklärt Yakov Rabkin. “Er ist eine Rückkehr zu seinen ethischen Grundlagen.”
Der Kongress betont dies mit aller Klarheit. Es definiert sich aus jedem Antisemitismus, jedem Shoah-Einsatz, jeder Verherrlichung von Gewalt. Aber er erlaubt keine Kritik am Nationalismus – und das ist Zionismus – per se wird als anti -semitisch bezeichnet.
Die Debatte ist anscheinend an einem Punkt angekommen, an dem sie nicht mehr zu Worten geführt wird, sondern um Würde.
Stille und Resonanz
Die Reaktionen auf den Kongress werden erwartet – und dennoch signifikant. Die israelitische Kulturgemeinschaft von Wien schweigt zumindest offiziell. Hinter der Hand wird von “Selbsthatred”, von “Verrat”, von “Scham” gesprochen. Der Präsident des konservativen Nationalrates, Wolfgang Sobotka, nannte Dalia Sarig einen “anti -semitischen Juden” – einen Vorwurf, der kaum in Absurdität geschlagen werden kann.
Die große österreichische Presse bleibt auffällig reserviert. Kein Editorial, keine Debatte. Der Feuilleton duckt sich. Stattdessen, internationale Plattformen, palästinensische Medien, links links -Wing -jüdische Netzwerke -ein Medienatlas, der zeigt, wie wenig Raum für jüdische Pluralität im deutschen Diskurs war.
Gleichzeitig: Ausdruck der Solidarität aus der ganzen Welt. Aus jüdischen Gruppen in London, Montreal, Johannesburg. Von Holocaust -Überlebenden in Frankreich. Aus progressiven amerikanischen Rabbinern. Eine neue jüdische Diaspora scheint sich zu bilden – nicht zu differenzieren, sondern endlich wieder zu sprechen.
Epilog: Umright in der Dissonanz
In dieser Debatte gibt es keine einfachen Sätze. Aber es gibt notwendig. Und einer von ihnen ist:
“Nicht in unserem Namen.”
In unserem Namen sollte die Besatzung nicht zum Schutz erklärt werden. Die Apartheid sollte kein Zustand des Staates werden. Die Erinnerung an den Holocaust sollte nicht in unserem Namen dienen, um andere zum Schweigen zu bringen.
Der erste jüdisch-antizionistische Kongress in Wien ist kein marginales Phänomen. Er ist ein Auftakt. Vielleicht nicht für den politischen Umbruch – sondern die jüdische Stimme wiederzubeleben, die sich weigert, der Macht zuzustimmen. Eine Stimme, die sich von der Geschichte nährt – aber nicht verankert sie. Eine Stimme, die nicht erinnert, nicht zu regieren, sondern auszusagen. Und vielleicht ist seine größte Bedeutung: nicht, dass er Israel delegitimiert. Aber dass er Judentum – sich selbst zugeschrieben wird.
Titelbild: Andy.liu / Shutterstock
Source link