Rudolf Dressler – Sozialanwalt der SPD gestorben

Ein Fels in der Brandung, wenn es darum ging, den Sozialstaat zu verteidigen, ein unermüdlicher Schöpfer, wenn es darum ging, ihn zum Wohle der Arbeitnehmer auszubauen – das war Rudolf Dressler, der am 8. Januar im Alter von 84 Jahren starb. Die SPD hat also ist ein unermüdlicher Mahner entfallen, und die sozialen Organisationen haben einen leidenschaftlichen Unterstützer verloren. Rudolf Dressler: ein Sozialdemokrat im eigentlichen Sinn des Wortes. Deshalb schrieb Hermann Zoller kein Nachruf, sondern ein Blick auf das konkrete Denken und Handeln Rudolf Dresslers – überraschend aktuelle Aussagen.
Rudolf Dressler wurde am 17. November 1940 in Wuppertal-Sprockhövel geboren, erlernte den Beruf des Schriftsetzers und arbeitete als freier Mitarbeiter für mehrere Zeitungen. Gewerkschaftliches Engagement ist für ihn selbstverständlich. Von 1969 bis 1981 war er Betriebsratsvorsitzender bei Westdeutsche Zeitung. Das Vertrauen der Mitglieder machte ihn von 1974 bis 1983 zum Mitglied des Hauptvorstandes der Industriegewerkschaft Druck und Papier (heute Teil von ver.di).
Dressler ist Mitautor des 1974 erschienenen Buches „Sozialplan und Interessenausgleich nach dem BetrVG 1972“ und Mitherausgeber des „Schwarzbuchs Wirtschaftskriminalität“ (1987). Dressler ist seit mehreren Jahren ehrenamtlicher Richter am Sozialgericht Düsseldorf und am Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen.
Rudolf Dressler wurde 1980 im Wahlkreis Wuppertal 1 zum Mitglied des Deutschen Bundestages gewählt, zuletzt mit 53,1 Prozent. Als Parlamentarischer Staatssekretär während der Regierung Helmut Schmidt und später als langjähriger stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion war Dressler eine wichtige sozialpolitische Stimme der SPD. Dressler galt als aggressiv und als jemand, der die Sache auf den Punkt brachte – etwa als er 1988 in einer Bundestagsdebatte die Gesundheitsreform der Kohl-Regierung aus seiner Sicht kommentierte: „Sie knüpft nahtlos an Ihre Asozialität an.“ Steuerreform Die Kleinen werden weggenommen und die Großen geschenkt.“
Nach dem Sieg bei der Bundestagswahl 1998 gingen viele davon aus, dass er Arbeitsminister werden würde. Doch Bundeskanzler Gerhard Schröder entschied sich für Walter Riester. Rudolf Dressler war ein scharfer Kritiker der „Hartz-Reformen“, die Bundeskanzler Schröder gegen innerparteiliche Widerstände und Proteste der Gewerkschaften durchführte. Hartz IV sei für den „Absturz“ der SPD verantwortlich, kommentierte Dressler.
Dressler zeigte stets Interesse an der Entwicklung Israels. Er war 19 Jahre lang in der Bundestagsfraktion für Israel zuständig. So ist es nicht verwunderlich, dass er vom 1. September 2000 bis zum 31. August 2005 Deutschlands Repräsentant in Israel wurde. 2013 wurde Dressler mit dem Heinz-Galinski-Preis der Jüdischen Gemeinde Berlin ausgezeichnet. Nach eigenen Angaben war er der Urheber der Formulierung, die Sicherheit Israels sei deutsche Staatsräson.
Im Mai 2007 spekulierte Dressler aus Unzufriedenheit mit der Sozialpolitik der SPD über einen Beitritt zur Linkspartei – lehnte diese Idee jedoch einige Monate später ab. Im Februar 2023 gehörte Dressler zu den Erstunterzeichnern einer von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer initiierten Petition, die ein Ende der militärischen Unterstützung für die Ukraine forderte.
Dressler und die SPD
Rudolf Dressler hatte seine Partei stets im Blick und prangerte Fehlentscheidungen schonungslos an. Dies wurde am 9. März 2018 veröffentlicht gab ÖFFENTLICH (02/2018) sein Artikel „Über den Blick auf die Wirklichkeit“. Dabei ging es um die Abstimmung der Mitglieder über den Beitritt zu einer „Großen Koalition“. Die Partei versuchte, den Vertrag für diese Koalition als „durchschlagenden Verhandlungserfolg“ zu verkaufen. Nach Durchsicht dieses Papiers diagnostizierte Dressler „Desillusionierung“ – und untermauerte seine Einschätzung:
„Erstes Beispiel: Die Wiederherstellung der Finanzierungsgleichheit in der gesetzlichen Krankenversicherung wird als historische Errungenschaft angepriesen. Offenbar haben alle Verhandlungsführer der SPD ignoriert, dass es die Sozialdemokraten waren, die 2005 die Gleichfinanzierung abgeschafft haben. Mit anderen Worten: CDU und CSU haben einfach zugelassen, dass die SPD ihren eklatanten Fehler von vor 13 Jahren endlich ausmerzt – sagen wir mal deutlich, was es war : ein gesellschaftspolitisches Durcheinander.
Zweites Beispiel: Das Niveau der gesetzlichen Altersrente soll bis 2025 bei 48 Prozent stabilisiert werden. Im Jahr 2004 war es die SPD (gemeinsam mit den Grünen), die eine Absenkung des Rentenniveaus auf zunächst 46 Prozent und danach zuließ bis 2030 mit der Einführung des sogenannten Nachhaltigkeitsfaktors auf 43 Prozent steigen. Auch in diesem Fall lässt die Union im Koalitionsvertrag von 2018 eine Korrektur einer SPD-Maßnahme zu, und zwar nur vorläufig, bis 2025.
Gleiches gilt – ein weiteres Beispiel – für die Befristung von Arbeitsverträgen ohne sachlichen Grund, die Arbeitgebern nun erschwert werden soll. Dieses schreckliche Gesetz war der Auftakt zur Agenda-Politik von Bundeskanzler Gerhard Schröder im Jahr 2000. Der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, beschrieb die Katastrophe, die das Agenda-Gesetz mit sich brachte, in einem einzigen Satz: „Die Hartz-Gesetze haben den Weg nach unten geebnet.“ .“
Abschließend noch ein letztes Beispiel, die Ausweitung der Anerkennung von Kindererziehungszeiten – von CDU und CSU unter dem Kampfbegriff „Mütterrente“ durchgesetzt – zu Lasten der Beitragszahler in der gesetzlichen Rentenversicherung: ein versicherungsfremder Sozialleistungswert Milliarden werden aus Sozialversicherungsbeiträgen bezahlt. So begrüßenswert das Gesetz aus gesellschaftlicher Sicht auch sein mag, so unfair und inakzeptabel ist es aus gesellschaftlicher Sicht, es aus dem Vermögen der Rentenversicherung zu finanzieren, statt alle Steuerzahler einzusetzen.
Spätestens an dieser Stelle sollten wir uns an ein Wort von Kurt Schumacher, dem ersten SPD-Vorsitzenden nach dem Zweiten Weltkrieg, erinnern: „Politik beginnt mit dem Blick auf die Realität.“ Diese Realität zeigt die großen Brüche in der SPD, zeigt die SPD-Wahlergebnisse hinter der AfD in vielen Regionen, zeigt den Verlust von rund zehn Millionen Wählern seit dem rot-grünen Wahlsieg 1998. Wenn wir uns die politische Realität anschauen und vorbereitet sind zu… „Um die von der SPD seit mindestens 15 Jahren gepflegte Tendenz zur Verdrängung politischer Probleme zu überwinden, können wir auch auf Analysen wohlmeinender Beobachter des Zeitgeschehens zurückgreifen.“
Dressler gegen Blüm
Der langjährige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm hatte in Rudolf Dressler einen Gegner, der es ihm nicht leicht machte. Ihre kämpferischen Rededuelle waren hart. Jahre später sagte Rudolf Dressler über seinen langjährigen Freund Blüm:
„Wir beide haben uns in 20 Jahren Parlamentszeit gegenseitig nichts geschenkt. Doch trotz einiger Härte und Schärfe in der Sprache mangelte es nie an gegenseitigem Respekt.“
Es war ein Spiel um Anleihen, die Entschlossenheit, den Wohlfahrtsstaat zu verteidigen. Diesem Grundverständnis verdanken wir beispielsweise die gesetzliche Pflegeversicherung. „Aber der aufrechte Gang war immer sein Begleiter“, schrieb Dressler in einem Nachruf auf seinen Freund Blüm.
Der Deutsche medizinische Fachzeitschrift notiert am 17. Juli 2000:
Mit seinem christdemokratischen Gegner Norbert Blüm geriet er oft aneinander, doch es blieb nicht unbemerkt, dass es zwischen beiden viele Gemeinsamkeiten gab. Er war misstrauisch gegenüber neoliberalen Ideen und Konkurrenzdenken im Gesundheitswesen. Für ihn war ein aktiver Staat in der Sozialpolitik mehr als eine Verfassungspflicht.“
Tarifeinheit und Streikrecht
Am 17. Juni 2015 veröffentlichte Rudolf Dressler in „verdi-Publik“ einen Artikel über die damals aktuelle Diskussion um Tarifverhandlungen und Streikrecht.
Eiserne Gesetze der SPD verletzt
Tarifeinheit – Die Politik darf die Verhältnismäßigkeit von Streiks nicht festlegen
Von Rudolf Dressler
Bevor unsere zweite deutsche Republik 70 Jahre alt wird, ist es der sozialdemokratischen Parteiführung gelungen, eine Reihe einst eiserner politischer Prinzipien aufzugeben. Aus der Einschränkung der Leiharbeit wurde eine Ausweitung. Die Beschränkung des Arbeitsverhältnisses als begründete Ausnahme wurde ohne Begründung zum Regelfall. Die paritätische Finanzierung unserer Sozialversicherungssysteme wurde auf Kosten des Faktors Arbeit aufgegeben. Weniger als zwei Jahre nach der Gründung der aktuellen Großen Koalition wird nun unter Führung eines sozialdemokratischen Arbeitsministers ein Gesetz verabschiedet, das es der Politik ermöglichen soll, die Verhältnismäßigkeit von Streiks zu definieren: das Einheitstarifgesetz!
Wenn wir uns jetzt daran erinnern, dass die FDP-Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger in der letzten Bundestagsperiode einen solchen Gesetzesantrag der CDU/CSU verhindert hat, wird die Blamage für die SPD-Spitze enorm sein. Leutheusser-Schnarrenberger betrachtete den Antrag der Union als verfassungswidrig. Der SPD-Politikerin Nahles macht das nichts aus.
Das kleine ABC des Grundgesetzes lehrt uns, dass Tarifautonomie und Streikrecht eiserne Verfassungsgrundsätze sind, die nicht verletzt werden dürfen. Auch nicht aus einer großen Koalition, die auf 80 Prozent der Bundestagsmandate angewiesen ist. Vielleicht ist diese überwältigende Mehrheit der Grund für die schnelle Verabschiedung des Gesetzes. Besonders unangenehm waren die jüngsten Arbeitskonflikte. Viele Politiker waren regelrecht verärgert. Schnell wurde die Theorie aufgestellt, dass der „öffentliche Dienst“ beeinträchtigt sei – weil etliche Züge zeitweise nicht fuhren.
Wie dürftig die Argumentation der SPD sei, machte der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner mit der Aussage deutlich, dass es seiner Partei mit dem Tarifgesetz „überhaupt nicht darum gehe, das Streikrecht einzuschränken“. Vielmehr soll sichergestellt werden, dass die Gewerkschaften nicht untereinander streiten. Es tut mir leid, was? Die Sozialdemokraten haben kürzlich ein Gesetz verabschiedet, das Streitigkeiten innerhalb der Gewerkschaften verhindert? Fällt der SPD in der großen Koalition nichts anderes ein?
Ukraine: Mehr Diplomatie
Der Krieg in der Ukraine hat Rudolf Dressler nicht gleichgültig gelassen – und er fordert: „Wir müssen die Diplomatie stärker in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen; Wir müssen mehr Diplomatie wagen.“ Und er vermutete: „Brandt würde direkt nach Moskau gehen, um mit Putin zu reden“ – getreu seinem Wort: „Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.“ So berichtet Alfons Pieper am 9. Januar Republik-Blog.
Notiz: Wir glauben, dass diese etwas andere Form des Nachrufs als Beispiel dafür verstanden werden kann, wie Sozialpolitik in der Vergangenheit umgesetzt wurde. Die Konsequenz: Schauen Sie sich die „guten Taten“, die den Bürgern angepriesen werden, viel genauer an. – Und sich zu engagieren.
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