Trump vs. Harris – eine Tragödie
Amerikanische und deutsche Medien sind sich einig – Kamala Harris hat die wohl einzige TV-Debatte zwischen Donald Trump und sich selbst gewonnen. Ob die entscheidenden Wechselwähler in den sogenannten Swing States das auch so sehen, steht auf einem anderen Blatt. Besonders interessant in der sonst eher ernüchternden Debatte waren die unterschiedlichen Positionen der beiden Kandidaten in der Ukraine-Frage. Hier konnte Trump überzeugen. Denn die Tägliche Nachrichtensterben Aktuelles und das Heute Journal Dies war nicht einmal ein Thema – der außen- und sicherheitspolitische Teil wurde von den deutschen „Nachrichten-Schlachtschiffen“ bewusst ignoriert, stattdessen wurde über Taylor Swifts Harris-Empfehlung und die Hunde und Katzen aus Ohio berichtet. Jens Berger.
Dieser Artikel ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcasts: In neuem Fenster abspielen | Herunterladen
Zugegeben, die ABC entlassen Die Präsidentendebatte zwischen Trump und Harris in voller Länge anzuschauen, ist nicht gerade ein Vergnügen, und wenn man bedenkt, dass es in dieser Debatte um nichts weniger geht als um die Frage, wer die Politik der am schwersten bewaffneten und kriegerischsten Atommacht der Welt übernehmen wird, wird man ängstlich und beklommen. Über den Kandidaten Donald Trump ist viel geschrieben und gesagt worden – er ist sprunghaft, fahrig und hinterlistig. Das alles stimmt. Auch die gestrige Debatte bot wieder solche Momente mit maximalem Peinlichkeitspotenzial – etwa die vielzitierten Hunde und Katzen in Springfield, Ohio, die Trumps Meinung nach von Einwanderern aus Haiti guten Amerikanern gestohlen und dann gegessen werden. Soll ein solcher Mann „den Westen führen“? Dann wäre die kluge Kamala Harris besser, werden sich viele Zuschauer der deutschen Fernsehnachrichten denken, denen die Debatte in ihrer verkürzten Form serviert wurde. Doch weit gefehlt. Zu innenpolitischen Fragen mag Trump in der Tat viel Unsinn gesagt haben; bei außen- und sicherheitspolitischen Fragen war es allerdings Kamala Harris, die schlicht ein Bild des Grauens präsentierte.
Harris ließ in der gestrigen Debatte keinen Zweifel daran, dass sie außenpolitisch für eine Kontinuität in der verheerenden US-Kriegspolitik steht. Minutenlang dozierte sie, völlig frei von Selbstironie, über die „großen USA“, deren Geschichte – die vier Jahre Trump natürlich ausgenommen – der Welt Frieden, Demokratie und Freiheit gebracht habe; die als Führungsmacht des freien Westens Autokraten und Diktatoren Paroli leiste. Selbst an Trumps Truppenabzug aus Afghanistan habe sie etwas zu kritisieren; er habe mit Terroristen verhandelt und damit den Respekt untergraben, den die USA in der ganzen Welt genießen, sagte eine hochemotionale Harris, den Tränen nahe.
Harris zeigte zudem einmal mehr, wessen Geisteskind sie ist, insbesondere beim Thema Ukraine. Aufgrund „unserer starken Unterstützung“, so Harris, „ist die Ukraine (noch) ein unabhängiges und freies Land. Wäre Donald Trump Präsident, säße Putin jetzt in Kiew (…) und hätte den Rest Europas im Visier.“ Dass Harris glaubt, was sie sagt, daran besteht wenig Zweifel. Dass sie aber die nötige staatsmännische Reife für dieses Amt besitzt, lässt sich schon im nächsten Nebensatz bezweifeln, in dem sie einen Krieg, der zum dritten Weltkrieg und damit zum Ende der Menschheit führen könnte, auf billige Machtarithmetik und Wahlkampfstrategie reduziert: „Und warum erzählen Sie den achthunderttausend polnischen Amerikanern hier in Pennsylvania nicht“, sagte Harris zu Trump, „wie schnell Sie um der Gunst willen aufgeben würden und was Sie als Freundschaft mit einem Diktator betrachten, der Sie zum Mittagessen verspeisen würde?“ Pennsylvania ist einer jener Swing States, in denen die Wahl gewonnen wird. Die Stimmen der Wähler polnischer Herkunft sind Harris offenbar wichtiger als die Bedrohung durch einen nuklearen Holocaust.
Auf diesen verantwortungslosen Angriff reagierte Trump mit ungewöhnlicher Staatskunst und Weisheit: „Putin hat“, so Trump, „etwas, was andere Leute nicht haben. Er hat Atomwaffen. Aber anscheinend denkt niemand (in der Biden-Administration) jemals darüber nach.“ Ein staatsmännischer Trump und eine verantwortungslose Zockerin Harris, die nicht in der Lage ist, Weltpolitik vom Wahlkampf zu trennen? Das passt natürlich nicht in das Bild, das die Medien gerne von diesem Wahlkampf zeichnen. Deshalb wurde die gesamte Passage zu außenpolitischen Themen in den deutschen Medien ignoriert – obwohl sie im Duell einen sehr großen Raum einnahm.
Wer diese Teile der Debatte verfolgt hätte, dem wären noch weitere sehr bemerkenswerte Unterschiede zwischen den Kandidaten aufgefallen. So ließ Trump in der Debatte einmal mehr keinen Zweifel daran, dass er den Krieg in der Ukraine sofort beenden würde. „Ich will den Krieg beenden, ich kenne Selenskyj und Putin sehr gut. Sie respektieren mich, aber sie respektieren Biden nicht. Ich werde diesen Krieg beenden, wenn ich gewinne, bevor ich mein Amt antrete. Ich werde mit dem einen und dann mit dem anderen reden. Dieser Krieg hätte nie beginnen müssen. (…) Das alles wird immer schlimmer und könnte zu einem dritten Weltkrieg führen. Wir rutschen in einen Weltkrieg hinein und wir wissen nicht einmal, wo unser Präsident ist.“
Auf die Frage des Moderators, ob es “im besten Interesse der Vereinigten Staaten sei, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt”, antwortete Trump: “Es ist im besten Interesse der Vereinigten Staaten, dass dieser Krieg endet. Verhandeln Sie einen Deal. Wir müssen verhindern, dass noch mehr Menschenleben verloren gehen.” Harris konterte daraufhin: “Ich denke, der Grund, warum Trump sagt, er könne den Krieg in 24 Stunden beenden, ist, dass er einfach aufgibt. So sind wir Amerikaner nicht (…) Diktatoren wollen Trump als Präsidenten, weil sie ihn manipulieren können.” Nicht nur an solchen Stellen fühlte man sich in die Zeit zurückversetzt, als Trumps Gegnerin nicht Kamala Harris, sondern Hillary Clinton hieß – letztere hatte am Ende gegen ihn verloren, wobei die wachsende Unzufriedenheit vieler Wähler über die zahlreichen amerikanischen Kriege sicherlich eine Rolle spielte.
Doch wie steht es mit Trump? Ist er wirklich der „Friedenspräsident“, den manche in ihm sehen wollen? Nein, das ist er leider nicht. Der „kommende Konflikt“ mit China, einschließlich der sonst vor allem in den USA so heiß diskutierten Taiwan-Frage, spielte in der gestrigen Debatte überraschenderweise keine Rolle. Dass Trump allerdings kein „Friedenspräsident“ sein wird, wenn er gewinnt, zeigte sich in den Passagen des Duells, in denen es um den zweiten großen Krieg ging – jenen in Gaza. Auch das wäre Trump zufolge mit ihm als Präsident nicht passiert; allerdings nicht, weil Trump als großer Vermittler einen Friedensprozess in der Region angestoßen hätte, sondern weil er dafür gesorgt habe, dass „der Iran pleite wäre (…) Sie hätten kein Geld für Terror, jetzt sind sie eine reiche Nation und verbreiten Terror in der ganzen Region.“ So sehr Trumps Wunsch nach einer schnellen Friedenslösung für den Krieg in der Ukraine zu begrüßen ist, so sehr ist seine fast krankhafte Fixierung auf den Iran als „Quelle allen Übels“ im Nahen Osten zu kritisieren. Unter einer zweiten Präsidentschaft Trumps dürfte das Pulverfass Nahost noch explosiver werden und ein Krieg zwischen Israel und den USA gegen den Iran wahrscheinlicher werden.
Aber auch hier ist Kamala Harris keine Alternative. Wie der Journalist Seymour Hersh richtig notiertHarris’ in Nebensätzen vorgetragene Einbeziehung der Palästinenser in eine Lösung des Nahostkonflikts erscheint kaum mehr als eine wohlkalkulierte Strategie, die jüngere Wählerschaft für sich zu mobilisieren. Worte, nichts als Worte. Ansonsten ist davon auszugehen, dass sie auch hier für Kontinuität steht und im Zweifel kein Wort zwischen den USA und ihrem Premiumpartner Israel hin und her wechseln lassen würde.
Warum diese außen- und sicherheitspolitischen Themen in der deutschen Berichterstattung zum US-Präsidentschaftswahlkampf so gut wie keine Rolle spielen, ist oberflächlich betrachtet unverständlich. Sieht man sich das Ganze jedoch im Detail an, ist dieses Versäumnis durchaus nachvollziehbar. Deutsche Kommentatoren lassen keinen Zweifel daran, auf welcher Seite sie stehen – auf der von Kamala Harris. Der Harris-Hype, der auch in deutschen Medien allgegenwärtig ist, ist fast schon peinlich. Dass ausgerechnet der „verrückte Trump“ in der Ukraine-Frage staatsmännischer und weit weniger verrückt wirkt als Harris, passt da nicht ins Bild. Erratische Geschichten von Hunden und Katzen, die von Einwanderern gefressen werden, passen da natürlich besser. Aber man kann den Medien dafür nur zum Teil die Schuld geben – auch sie verdrehen nur die perfekten Gelegenheiten, die Trump selbst nur zu gerne liefert.
Wie die Wahl ausgehen wird, ist noch völlig offen. Harris liegt derzeit in den nationalen Umfragen mit weniger als einem Prozentpunkt vorne, aber diese nationalen Umfragen sind aufgrund des Wahlmännersystems der USA bedeutungslos. Es besteht kein Zweifel, dass Harris die „liberalen“ Staaten Kalifornien und New York gewinnen wird, zum Beispiel. Jede Stimme, die sie dort jetzt gewinnt, ist wertlos. Ähnlich verhält es sich mit Trump und konservativen Staaten wie Tennessee, Indiana und Kentucky. Glaubt man den – sehr zuverlässigen – „Electoral Map“ von RealClearPollingDie Wahl wird von den 111 noch in den Swing States zu vergebenden Wahlmännerstimmen entschieden. Und ob die Unentschlossenen und Wechselwähler in Michigan, North Carolina oder Georgia eher Harris‘ Vision eines demokratisch-kriegerischen Welthegemons USA an die Wahlurne treiben werden als Trumps Horrorgeschichten über von Migranten gefressene Haustiere, wird sich im November zeigen.
Titelbild: Screenshot ABC
Source link