Verbreiten die NachDenkSeiten russische Narrative? Der Bayerische Verfassungsschutz rudert zurück
Wie wir am Montag sagten gemeldetDie NachdenkenSeiten mit manipulativer Absicht in einem Bericht des Bayerischen Verfassungsschutzes. Die Autoren warfen uns und einigen anderen kritischen Medien, wie etwa dem Berliner Zeitung und die FreitagInhalte zu veröffentlichen, „die grundsätzlich in das russische Narrativ zu passen scheinen.“ Kritik und die bayerischen Geheimdienste fühlten sich „missverstanden“. Der Bericht wurde nun korrigiert und nun ist auch bekannt, welchen Beitrag die NachdenkenSeiten löste den Vorwurf der „Verbreitung russischer Narrative“ aus – ein Gastbeitrag des oppositionellen linken ukrainischen Politikers Maxim GoldarbWelch bittere Ironie. Goldarb beklagt in seinen Artikeln Rechtsstaatsdefizite in der Ukraine, wurde daraufhin von den ukrainischen Behörden verfolgt und ist nun auf der Flucht. Kritik am Rechtsstaat ist also ein „russisches Narrativ“? Jens Berger.
Wie wir bereits vermutet hatten, gab es nur einen einzigen Beitrag der NachdenkenSeiten vom angeblich russisch kontrollierten Kampagnennetzwerk „Doppelgänger“ bis auf facebook. Und X verteilt.
Bitte lesen: „NachDenkSeiten erscheinen im Bericht des Bayerischen Verfassungsschutzes“
Wie nun aus der überarbeiteten Fassung eines Berichts des Bayerischen Verfassungsschutzes hervorgeht, handelte es sich dabei um den Artikel „Welche europäischen Werte ‚verteidigt‘ Selenskyj eigentlich?“ von Maxim Goldarbdas in unserer Rubrik „Stimmen aus der Ukraine“ erschien.
Goldarb ist Vorsitzender der „Union der Linken Kräfte“ und war vor dem Maidan-Putsch Chefrevisor und Kontrolleur der Finanzen des ukrainischen Verteidigungsministeriums. Die Union der Linken Kräfte ist eine 2007 gegründete ukrainische Oppositionspartei, die auf dem demokratischen Sozialismus basiert und unter anderem zum Ziel hatte, die grassierende Privatisierung strategischer Staatsunternehmen und den Verkauf landwirtschaftlicher Flächen an große ausländische Konzerne zu stoppen sowie die Ukraine geopolitisch neutral zu machen. Sie setzte sich außerdem für Russisch als zweite Amtssprache und für die Stärkung ländlicher Gebiete ein. Diese Ziele reichten aus, um die Partei zusammen mit anderen linken Parteien am 17. Juni 2022 zu verbieten und ihr gesamtes Vermögen zu enteignen. Seitdem arbeiten ihre Mitglieder im Untergrund oder im Exil. Einige ihrer Anführer wurden entführt und sind seitdem spurlos verschwunden, wie etwa der Parteigründer Wassili Wolga. Auch Maxim Goldarb selbst ist mittlerweile aus der Ukraine geflohen. geflohennachdem der ukrainische Inlandsgeheimdienst ihn festnehmen wollte. Auslöser war unter anderem ein Artikel für die NachdenkenSeitenDarin kritisiert Goldarb, wie in der Ukraine aus Kritikern der Regierungspolitik „Verräter“ gemacht werden. NachDenkSeiten-Herausgeber Florian Warweg thematisierte die Verfolgung Goldarbs und das Verbot linker Parteien in der Ukraine auf der Bundespressekonferenz, wurde aber mit der lapidaren Feststellung abgespeist: „Die Bundesregierung vertraut der Ukraine.“
Dass die berechtigte Kritik eines ukrainischen Oppositionspolitikers an den Repressalien der ukrainischen Regierung vom Bayerischen Verfassungsschutz als „russisches Narrativ“ eingestuft wird, setzt dem Ganzen noch das i-Tüpfelchen. Goldarbs Frage, „Welche europäischen Werte „verteidigt“ Selenskyj eigentlich?“ müsste ergänzt werden durch: Welche freiheitliche, demokratische Grundordnung glaubt der Bayerische Verfassungsschutz eigentlich zu schützen? Jeder einzelne Kritikpunkt, den Goldarb in seinem Artikel anführt, würde auch dem deutschen Grundgesetz entsprechen. Goldarb setzt sich für eine „freiheitliche, demokratische Grundordnung“ in der Ukraine ein und wird deshalb vom Bayerischen Verfassungsschutz verdächtigt, „russische Narrative zu verbreiten“?
Aber es ist nicht nur die NachdenkenSeitenderen Einstufung als „Verbreiter russischer Narrative“ durch den bayerischen Verfassungsschutz ratlos zurücklässt. Die Überarbeitung des Berichts zeigt nun auch, welche Artikel des Berliner Zeitung und die Freitags führte zu der skandalösen Einschätzung des Bayerischen Verfassungsschutzes – einer Bericht über die Gewinne der amerikanischen Rüstungsindustrie aus Waffenlieferungen an die Ukraine und ein Artikel über die negativen Auswirkungen der von den USA und der EU verhängten Sanktionen gegen Länder wie Afghanistan, Syrien, Iran oder Jemen. Das sind also alles „russische Narrative“?
Kein Wunder, dass sich die bayerischen Verfassungsschützer nun „missverstanden“ fühlen. „Die bayerischen Verfassungsschützer unterstellen den Verantwortlichen der hier aufgeführten Websites nicht explizit, dass sie russische Propaganda verbreiten oder davon Kenntnis haben oder die Verbreitung ihrer Inhalte im Rahmen der Kampagne „Doppelgänger“ gutheißen“, heißt es in einer Erklärung der Verfassungsschützer. Antwortschreiben an die Berliner Zeitung. Doch genau das hatten sie „insinuiert“. In diesem Schreiben heißt es auch: „Es liegt auf der Hand, dass aus Sicht des Akteurs die betreffenden Inhalte das russische Narrativ unterstützen oder die Verbreitung entsprechender Inhalte sonst im Interesse des Akteurs liegt“. Anders gesagt: Journalistische Artikel, die Kritik an der westlichen Politik üben, sind für den Verfassungsschutz irgendwie problematisch, da sie dann „das russische Narrativ“ unterstützen. Das ist – bei allem Respekt – ein abenteuerliches Verständnis von Journalismus.
Titelbild: THICHA SATAPITANON/shutterstock.com
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