Politik

Zum Denkmal degradiert – Der Dokumentarfilm „Petra Kelly – Act now!“

Ein gerade erschienener Film rückt die Mitbegründerin der GRÜNEN, Petra Kelly, wieder in den Mittelpunkt. Und ignoriert weitgehend ihren Antimilitarismus und ihr Engagement für Gewaltlosigkeit. Aus Leo Ensel.

Menschen, denen Charisma nachgesagt wird, sind sehr attraktiv. Oft ist es ihr moralischer Rigorismus, ihr kompromissloser Kampf für Gerechtigkeit, für eine gute Sache, der sie so attraktiv macht – oft aber auch bedrohlich für ihr Umfeld und sich selbst. Ihr Leben ist ein ständiger Balanceakt. Sie sind wie eine Kerze, die an beiden Enden gleichzeitig brennt.

Petra Kelly, Atomkraftgegnerin, Menschenrechtsaktivistin, Frauenrechtlerin, Pazifistin, Atomwaffengegnerin und Mitbegründerin der damaligen Ecopax-Partei DIE GRÜNEN – es gab wohl kein wichtiges Thema, dem sie sich nicht mit ganzem Herzen verschrieben hätte und Seele. Schon zu ihren Lebzeiten wurde sie zu einer „Ikone“, einer „Jeanne d’Arc“ der Umwelt- und Friedensbewegung gemacht. (Ob ihr damit ein Gefallen getan wurde, bleibt abzuwarten.) Kelly wäre heute 76 Jahre alt, wenn sie nicht Anfang Oktober 1992 im Alter von 44 Jahren von ihrem langjährigen Partner, der ehemaligen Bundeswehr, erschossen worden wäre General Gert Bastian – oder sollten wir sagen: ermordet? – gewesen.

Wo würde sie heute sein? An welchen gesellschaftlichen Themen würde sie arbeiten? Wo kann man sich engagieren? Fragen, die der Dokumentarfilm stellt, der Mitte September Premiere hattePetra Kelly – Handeln Sie jetzt!“ hebt.

Und steuert in eine Richtung, die sie zur Aktivistin im Interesse der heutigen Machthaber degradiert.

Der Ökopax halbierte sich

Tote können sich nicht mehr wehren. Ob sie kooptiert, heiliggesprochen oder geschändet werden, sie bleiben machtlos.

„Petra Kelly engagiert sich international. Gegen Atomkraft, für Menschen- und Frauenrechte, für Umweltschutz. Themen, die auch heute noch hochaktuell sind oder sein werden.“ Die Art und Weise, wie beispielsweise ARD der Film präsentiertwird dem durchaus gerecht. Aber nicht unbedingt Petra Kelly. Das Entscheidende: Alle hier aufgeführten Themen, „die auch heute noch oder immer noch hochaktuell sind“, waren vor viereinhalb Jahrzehnten tatsächlich rebellisch. Doch wer sich heute damit schmückt und sich als Oppositioneller präsentiert, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als frommer Anhänger des von der Regierung gewünschten „Engagements“, das ebenso billig ist wie die jetzt eingespeisten Inflationsparolen Der Diskurs von oben. „Zivilcourage“, „Zeig Gesicht!“ oder „Aufstand des anständigen Volkes“.

Heute, in Zeiten umfassender Geschlechterstudiengänge, kommunaler Gleichstellungsbeauftragter und EU-geförderter Frauenförderprogramme als Querschnittsaufgabe, ist der Einsatz für Frauenrechte ein Karrieresprungbrett. Wer sich für einen endgültigen Ausstieg aus der Atomkraft und der Energiewende einsetzt, kann es auf das Amt des Vizekanzlers schaffen. Die Christopher Street Days haben sich zu postmodernen Karnevalsumzügen entwickelt, mit denen sich mittlerweile auch konservative Kommunalpolitiker gerne schmücken. Die Kanzlerin und breiteste Teile der Bevölkerung gehen gemeinsam auf die Straße: „Gegen rechts!“ Und protestierende Klimaplaketten werden von den regierenden Politikern schlimmstenfalls mit erhobenem Zeigefinger und anerkennendem Augenzwinkern abgewiesen.

Ist es also verwunderlich, wenn Regisseurin Doris Metz uns Petra Kelly als „Luisa Neubauer avant la lettre“ oder umgekehrt als „zeitgenössische Petra Kelly“ verkaufen will? Eine bürgerliche, gute „Rebellin“ aus der oberen Mittelschicht, die wie ihre gesamte Bewegung blind für das rüstungspolitische Auge ist? Und ist es Zufall, dass der Film Hinweise auf Kellys wichtigstes Thema, „das auch heute noch oder sehr aktuell ist“, die neue globale Atombewaffnung und die erneute Stationierung von Mittelstreckenraketen und Marschflugkörpern in Deutschland, bewusst ignoriert?

Petra Kelly, hier vorgestellt, ist eine Favoritin der heutigen Herrscher, der wachen, olivgrünen Krieger. Ihr politisches Erbe wird von der Heinrich-Böll-Stiftung verwaltet, die den Film wie folgt stolz unterstützt kündigt an:

„Der Punkt ist, mit PETRA KELLY – HANDELN SIE JETZT! eine politische Aktivistin wiederzuentdecken, die in ihrem Kampf für Frauenrechte und Klimaschutz sowie ihrer internationalen Ausrichtung und Vernetzung außergewöhnlich war. Ihrer Zeit weit voraus und heute ein Vorbild für viele junge Menschen, die ihr Recht auf bürgerschaftliches Engagement für die Rettung unseres Planeten auch außerhalb der Politik einfordern.“

Die Petra Kelly des Films ist, kurz gesagt, die Halbierung des Ökopax. Niemand hatte sich so vehement für das Prinzip der Gewaltlosigkeit, für ein atomwaffenfreies Europa, für die Überwindung der Blockkonfrontation eingesetzt wie sie! Tote können sich nicht mehr wehren.

Gegen den Strich gebürstet

Man kann den Film aber auch gegen den Strich schauen. Letztlich kommt es nicht auf die Intention des Filmemachers an, sondern auf die Rezeptionshaltung des Publikums.

Und das lohnt sich auf jeden Fall.

So gesehen liefert der Film heute sehenswertes Material aus einer Zeit des Wandels vor über vier Jahrzehnten. Man staunt über eine Öffentlichkeit, die im Vergleich zur jetzigen nicht nur über ein beneidenswertes Problembewusstsein und eine allgemeine Aufklärung in Sachen (Atom-)Aufrüstung und Antimilitarismus verfügte, sondern auch bereit war, dagegen vorzugehen und persönliche Risiken in Kauf zu nehmen. Plötzlich hört man wieder Wortfossilien wie „Rüstungswahnsinn“, „ziviler Ungehorsam“ oder „gewaltfreier Widerstand“, die seit jeher nicht mehr zum aktiven Wortschatz gehören – den Menschen der „Generation 60 plus“ aber seltsam vertraut sind. und angesichts der geplanten „Nachrüstung 2.0„ wirken unheimlich aktuell.

„Wenn wir mit unserem zivilen Ungehorsam das Gesetz übertreten“, sehen wir Kelly 1983 vor dem Bundestag, „dann deshalb, weil wir auf ein höheres Gesetz, das Gesetz des Gewissens, zählen und weil wir auch wissen, dass es eine Macht ist.“ des Staates ist nicht absolut und deshalb ist ziviler Ungehorsam unsere Antwort.“

Sätze, die das nostalgische grüne traditionelle Ornament verharmlosen Homepage der Heinrich-Böll-Stiftung prangt. Sätze, die heute schnell wieder Brisanz erlangen würden, wenn man sie wieder ernst nimmt und wir beispielsweise wie in Mutlangen wieder damit beginnen, Sitzstreiks gegen die kommenden Marschflugkörper und Hyperschallraketen zu organisieren. Diesmal allerdings in Opposition zur ehemaligen, von Petra Kelly mitbegründeten „Anti-Partei-Partei“, die nun den Außenminister – „Waffen retten Leben“ – und einen Vizekanzler hat, der sich für die erneute Stationierung des Mediums ausspricht -Reichweitenraketen und Marschflugkörper auf deutschem Boden Sätze wie „Wir müssen die Defensive stärken, weil wir in einer sehr bedrohlichen Zeit leben, die anders ist als in den 80er Jahren.“ Deshalb ist Naivität verboten.“ Man ist schockiert – das macht der Film auch ungewollt deutlich –, wie weit sich die heutigen GRÜNEN von ihren Ursprüngen in den Schalthebeln der Macht entfernt haben!

Und so fallen einem die klassischen Sätze fast schmerzhaft aus dem Mund.politisches Testament„Die mit Abstand klügste Grünen-Politikerin und letzte Dorn im Auge ihrer bis zur Unkenntlichkeit gewandelten Partei, die vor anderthalb Jahren verstorbene Antje Vollmer:

„Meine ganz persönliche Niederlage wird mich die letzten Tage begleiten. Insbesondere die GRÜNEN, meine Partei, besaßen einst alle Schlüssel zu einer wirklich neuen Ordnung einer gerechteren Welt. Durch glückliche Umstände war sie dieser Botschaft viel näher als jede andere Partei.

Wir hatten einen echten Schatz zu hüten: Wir waren nicht in die machtpolitische Blocklogik des Kalten Krieges eingebunden. Wir waren per se Dissidenten. Wir waren gleichermaßen gegen die Wiederbewaffnung in Ost und West; Wir sahen die Gefahr für den Planeten, die von ungezügeltem Wirtschaftswachstum und Konsumismus ausgeht. Wer die Welt retten wollte, musste sich um ein solides Bündnis zwischen Friedens- und Umweltbewegung bemühen; Das war eine klare historische Notwendigkeit, die wir gelebt haben. Wir hatten dieses zukünftige Bündnis zum Greifen nah.

Was hat die heutigen GRÜNEN dazu verleitet, all das aufzugeben, nur um im großen geopolitischen Machtpoker mitzuspielen, und dabei ihre wertvollsten Wurzeln als lautstarke Pazifisten zu verachten?“

Preisfrage: In welcher Partei, in welcher Bewegung (und mit welchen Schwerpunkten) würde sich Petra Kelly heute engagieren?

Dieser Artikel ist der erste herausgegeben von Globalbridge.

Titelbild: (C) Produktion des Films „Iconoclasm“.


Source link

Ähnliche Artikel

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"