Brief aus Hongkong: Die deutsche Wirtschaft muss in China umdenken



Demokratieaktivistin Glacier Kwong
Quelle: Getty Images
Mit ihrem Strategiewechsel in der Außenpolitik erkennt die Bundesregierung an, wie wichtig es ist, Partnerschaften an gemeinsamen Werten auszurichten. Viele Unternehmen geben kurzfristigen Gewinnen hingegen nach wie vor Vorrang vor Menschenrechten und geopolitischen Risiken. Das ist gefährlich.
Die jüngste Rede von Annalena Baerbock (die Grünen) deutet auf einen bedeutenden Wandel in der deutschen Außenpolitik hin: Sie folgt dem weltweiten Trend des De-Riskings, also der Strategie, Risiken angesichts von Ungewissheit zu reduzieren.
Und vergrößert damit die Diskrepanz zur Wirtschaft, die immer noch zurückhaltend ist, sich mit den geopolitischen Auswirkungen ihres Handelns auseinanderzusetzen – insbesondere, was Geschäfte mit Ländern betrifft, die eine fragwürdige Menschenrechtsbilanz aufweisen.
In ihrer Rede, die wegen der abgebrochenen Pazifik-Reise virtuell stattfand, äußerte Baerbock den Wunsch nach einer stärkeren Zusammenarbeit mit Australien. Dies unterstreicht, dass es in internationalen Beziehungen immer wichtiger wird, Risikofaktoren zu berücksichtigen.
Dass sie den Systemwettbewerb betont, in dem autoritäre Regime ihren Einfluss nutzen, um die globale Ordnung zu gestalten, zeigt, dass Länder ihre Verhältnisse neu bewerten, um Risiken zu minimieren. Berlin stellt sich proaktiv auf die veränderte geopolitische Realität ein.
Kurzfristige Gewinnaussichten sind nicht alles
Es ist wichtig zu erkennen, dass die Verringerung von Risiken für die Wahrung nationaler Interessen, Sicherheit und Werte unerlässlich ist. Baerbock unterstreicht die Idee, dass Partnerschaften mit Nationen aufgebaut werden sollten, die ähnliche Werte teilen und sich zu einer verantwortungsvollen Zusammenarbeit verpflichten, anstatt nur von wirtschaftlichen Aussichten getrieben zu werden.
Doch während die Regierung anerkennt, wie wichtig es ist, Partnerschaften an Werten auszurichten, geben einige Unternehmen kurzfristigen finanziellen Gewinnen nach wie vor Vorrang vor Menschenrechten und geopolitischen Risiken.
In der Vergangenheit hat Chinas schnelles Wachstum nicht nur die Weltwirtschaft beflügelt, sondern auch vielen deutschen Unternehmen hohe Gewinne ermöglicht. Die Strategie, sich stark auf die Volksrepublik zu konzentrieren, scheint nun jedoch zum Problem zu werden, seitdem sich deren Schwachstellen offenbaren.
Verschiedene Berichte und Daten belegen eine Verlangsamung des Wachstums. Leider scheinen einige deutsche Unternehmen die Langlebigkeit des chinesischen Wirtschaftswachstums überschätzt zu haben, betrachten es quasi als garantiert. Diese allzu optimistische Sichtweise ignoriert, wovor Ökonomen seit Längerem warnen: Chinas Wachstumsrate wird in den nächsten zehn Jahren auf drei Prozent oder noch darunter sinken.
China will nicht mehr nur Werkbank sein
Zudem sendet Peking mit seiner Strategie „Made in China 2025“ ein klares Signal: Man begnügt sich nicht mehr damit, die Werkbank der Welt zu sein, sondern will in Hightech-Sektoren wie Elektromobilität und IT mit dem Westen konkurrieren.
Bedauerlicherweise scheinen einige deutsche Unternehmen diesen Wandel nicht ausreichend zu bemerken, die strategischen Überlegungen der Kommunistischen Partei zu übersehen und die Risiken, die Chinas politisches System birgt, nicht zu erkennen.
Doch auch Berlins Haltung stößt auf Kritik. Im Umgang mit Peking scheint man Fehler zu wiederholen, die in der Vergangenheit mit Moskau gemacht wurden. Unter dem Druck der Wirtschaft hat sich die Politik entschieden, Risiken herunterzuspielen, anstatt sie anzugehen.
Wir schreiben das Jahr 2023, blinder Optimismus und unerschütterliches Vertrauen sind nicht mehr die Mittel der Wahl. Deutschland muss sich dem chinesischen Markt mit Vorsicht nähern, potenzielle Risiken erkennen und sich auf mögliche Folgen vorbereiten. Weil Geopolitik und Wirtschaft eng verflochten sind, müssen sich Regierung und Unternehmen besser abstimmen, um eine stabile und erfolgreiche globale Zukunft zu ermöglichen.
Glacier Kwong schreibt diese Kolumne im Wechsel mit Joshua Wong. Die beiden jungen Aktivisten aus Hongkong kämpfen gegen den wachsenden Einfluss Chinas in ihrer Heimat. Da Wong derzeit inhaftiert ist, setzt Kwong diese Kolumne einstweilen allein fort.
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