Politik

Wenn der Keller zum Lachen nicht tief genug ist

Ein ganz normaler Bundesliga-Spieltag in Deutschland. RB Leipzig spielt gegen Union Berlin, die Berliner Fans schweigen die ersten 15 Minuten aus Protest gegen den Leipziger Club und das Spiel endet mit einem unspektakulären torlosen Unentschieden. So weit, so normal, so langweilig. Doch abseits des Platzes passiert etwas, das die Gemüter (zumindest bei einigen) erhitzt. Ein Kommentar von Lutz Hausstein.

Das Spiel war vor allem für Fußballästheten nur mäßig spannend. Nichts, was lange im Gedächtnis haften bleiben sollte. Doch ein Ereignis abseits des Platzes dominierte die übliche Diskussion nach dem Spiel. Denn Mitte der ersten Halbzeit heizte Unions Social-Media-Abteilung den Fans daheim mit folgendem Post ein X A:

„Eine halbe Stunde vorbei. Defensiv stabiler als jede sächsische Brücke. Weiter so, Jungs!“

Weniger als zwei Stunden später entschuldigte sich Union Berlin für den Kommentar und erklärtSie hätten „im Eifer des Gefechts etwas übertrieben“.

Ob dieser Sinneswandel auf Druck von anderer Seite (vermutlich nicht einmal von RB Leipzig) oder auf eine eigene Reflexion des Autors über das zuvor Geschriebene zurückzuführen ist, lässt sich von außen natürlich nicht beurteilen. Doch eines zeigt dieser Widerruf sehr deutlich: Witze, auch harscher Natur, aber auch kleinere Provokationen sind in Zeiten permanenter Überwachung der Zulässigkeit von Äußerungen kaum noch möglich. Entweder man betreibt in seinen öffentlichen Kommentaren „freiwillige“ (Selbst-)Zensur oder man setzt sich dem harschen Gegenwind eines öffentlichen Shitstorms aus, der unweigerlich in Selbstgeißelung endet.

Mein Gott! Ich bin selbst in Dresden geboren, habe zwei Jahrzehnte in der Nähe von Dresden gelebt und lebe noch heute in Sachsen. Ich bin also persönlich von diesem Kommentar „betroffen“ und kann mir daher erlauben, eine eigene, unbestreitbare Meinung aus erster Hand zu der Sache zu haben.

Diese in allen Bereichen der Gesellschaft verbreitete politische Korrektheit erstickt jede abweichende Meinung, jeden Witz, jede kleine Provokation, die oft die Würze unserer Kommunikation ausmachen, und wird so selbst zum Zeichen der Intoleranz. Natürlich ist der Einsturz der Carolabrücke in Dresden aus vielen Gründen eine bittere Erfahrung für die Dresdner Bevölkerung und ein trauriges Spiegelbild der Verschlechterung der Infrastruktur dieses Landes. Es gibt reichlich Gelegenheit dazu in einem ernsthafter politischer Kommentar zu analysieren. Aber warum sollte man sich darüber nicht in einem ironischen Kommentar lustig machen dürfen?

Mir kommt es immer mehr so ​​vor, als ob es nicht nur politische Meinungsführer sind, die sich zum Lachen in den Keller begeben, sondern alle Menschen in diesem Land, die mit einer öffentlichen Äußerung mehr als zwei Menschen erreichen. Ach, was sage ich: nicht bloß in den Keller, sondern auch in den Brunnen, in den sie sich selbst gegraben haben, in den sie sich mit einem Eimer hinablassen und an dessen tiefster Stelle sie es wagen, allenfalls ein verzerrtes Gesicht zu ziehen.

Ein bisschen mehr Toleranz, ein bisschen mehr Gelassenheit würde uns allen guttun. Die Toleranz, andere Meinungen als das zu sehen, was sie sind: andere Meinungen. Und mehr Gelassenheit, auch gut gemeinte Sticheleien und Provokationen (keine böswilligen!) als solche zu begreifen.

Was für eine Menge Ossi-Witze mussten sich die Ostdeutschen Anfang der 1990er Jahre anhören! Manche waren richtig lustig, andere eher pseudo-lustig. Aber oft liegt der Witz im Auge des Betrachters. Man lacht vielleicht ein bisschen mit, aber einen Moment später hat man es schon vergessen. Erst als diese Witze überhandnahmen und die Witze immer weniger lustig wurden, änderte sich das Ganze. Aber es war ein gewisser Weg dorthin.

Oder was gab es früher für eine Fülle an Blondinenwitzen! Nur eine begrenzte Anzahl davon war lustig, und irgendwann driftete das immer mehr ins Blondinen-Bashing ab. Aber es gab noch immer gute, lustige Blondinenwitze. Es gab viele Blondinen, die mit einem schelmischen Lächeln den neusten Blondinenwitz erzählten. Und all diese sollen jetzt der politischen Korrektheit wegen schlechter Witze zum Opfer fallen?

Wenn man an Otto Waalkes denkt, denkt man sofort an seine Ostfriesenwitze. Aber die Ostfriesenwitze haben eine viel längere GeschichteNicht alle dieser Witze waren wirklich lustig, aber viele schon. Und wenn man sie mit den Blondinenwitzen vergleicht, wird man feststellen, dass einige dieser Witze von der anderen Bevölkerungsgruppe wiederbelebt wurden. Es ging also weniger um die Verunglimpfung einer Personengruppe, sondern mehr um den Witz selbst.

Ich kann mich nur wiederholen. Wir sollten mehr Toleranz und Gelassenheit üben, nicht jeden Witz, jede Stichelei und jede Provokation verdammen und der politischen Korrektheit opfern. Nicht jeder Witz ist tatsächlich lustig. Manche gehen ungewollt daneben. Aber nicht jeder schlechte Witz ist es wert, sich darüber aufzuregen. Maß und Ausgewogenheit sind viel wichtiger. Sonst verknöchert die Gesellschaft immer mehr. Zumindest die öffentliche Gesellschaft. Denn im Privaten, abseits öffentlicher Meinungsäußerungen, sind derartige Witze und Provokationen noch immer absolut alltäglich. Selbst Sachsen lachen über Sticheleien über eingestürzte sächsische Brücken.

Titelbild: TetianaKtv/shutterstock.com


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